Die Sünde
den Inhalt der Sendung vorgetastet haben.«
Nawrod nickte. »Bin in meinem Büro. Die Nummer kennst du ja.«
War da eben wieder dieses Blitzen in ihren Augen? Oder bildete er sich das nur ein? Gedankenverloren machte sich Nawrod auf den Weg zu seinem Büro.
Unterwegs erinnerte er sich daran, dass sich gestern Abend seine Frau gemeldet hatte. Das erste Mal seit der Trennung vor sieben Monaten. Es war wie ein Stich ins Herz gewesen, als sie ihren Namen genannt hatte. Sekundenlang war er nicht fähig gewesen, auch nur einen Ton hervorzubringen.
»Eva hier! Hallo, Jürgen, wie geht’s dir?«, meldete sie sich und aus ihrer Stimme meinte er unendlich viel Melancholie herauszuhören. Als er nicht gleich antwortete, fuhr Eva nicht sehr überzeugend fort:
»Uns geht es ganz gut. Wir leben immer noch bei meiner Mutter. Jürgen? Hallo, Jürgen!«
»Ja, Eva … ich … ich … entschuldige …«
»Bist du nicht alleine? Soll ich später noch mal anrufen?«
»Nein … doch … ich meine, natürlich bin ich allein. Wer soll denn hier sein?«
»Ich dachte, du hast vielleicht eine …«
»Nein, habe ich nicht.«
»Wie geht es dir so? Ich meine …«
»Ich trinke nicht mehr und bin auch von den Tabletten weggekommen, wenn du das wissen willst.«
»Schön, das zu hören.«
»Wie geht es Samia?«
»Nicht so gut, Jürgen. Du weißt ja, sie hatte letzte Woche Geburtstag. Und …«
»Mein Gott, das habe ich … verflixt …«
»Sie saß den ganzen Tag zu Hause in ihrem Zimmer und hatte den Kopfhörer auf. Ich hatte ihr eine Torte gebacken, die ich mit dreizehn Kerzen verzierte. Nicht ein Stück hat sie davon gegessen.«
»Tut mir leid, tut mir verdammt noch mal leid. Ich hätte sie zumindest … Scheiße!«
»Seit etwa vier Monaten gehe ich mit ihr jede Woche einmal zu einem Psychotherapeuten. Ihre Noten sind aber noch nicht besser geworden. Wenn es so weitergeht, ist ihre Versetzung gefährdet.«
»Eva, ich … jetzt, wo ich wieder okay bin … ich … ich wollte dich schon die ganze Zeit mal anrufen.« Ein Kloß, dick wie ein Fußball, steckte ihm im Hals. »Ich bin nach Heidelberg versetzt worden. Für wie lange, weiß ich nicht. Unsere Wohnung in Stuttgart behalte ich jedoch. Du kannst jederzeit …«
»Darüber wollte ich mit dir sprechen. Wir müssen einige Dinge klären. Die Wohnung ist das eine und …«
»Was ist mit der Wohnung? Die können wir doch …«
»Jürgen, ich habe eine neue Beziehung.« Ihre Stimme hatte plötzlich einen eigenartigen Klang. »Ich denke, es ist das Beste, wenn wir uns scheiden lassen. Vielleicht fängt sich Samia dann auch wieder.«
Er hielt den Telefonhörer noch ein paar Sekunden ans Ohr und legte dann auf.
Anschließend überlegte er sich, ob er noch weggehen sollte. In irgendein gemütliches Altstadtlokal. Sich einfach mal wieder volllaufen lassen. Alles vergessen. Wie sollte er sonst die Nacht überstehen? Doch dann entschied er sich für einen niveaulosen Actionfilm im Fernsehen, den er im Bett anschaute. Bald darauf schlief er ein.
Am nächsten Morgen waren Eva und Samia noch so präsent in ihm, dass er an nichts anderes denken konnte. Wie schon so oft, wurde er dann aber durch ein dienstliches Ereignis abgelenkt. Die neue Paketsendung erforderte seine ganze Konzentration.
Und nun wieder diese Berührung an der Hand, dieser Blick von Sabine Bauer. Er liebte Eva immer noch. Das hatte er gestern Abend bei dem Telefonat ganz eindeutig festgestellt. Und Samia? Bei dem Gedanken, wie seine Tochter den 13. Geburtstag verbracht hatte, zerriss es ihm fast das Herz. Was musste in ihrem Kopf wohl vorgegangen sein? Wie hatte er diesen Tag vergessen können? Er könnte sich selbst ohrfeigen. Warum hatte er nicht schon viel früher angerufen? Er wollte erst mit sich ins Reine kommen. Aber jetzt war es womöglich schon zu spät.
Nawrod saß hinter seinem Schreibtisch und schüttelte immer wieder den Kopf. Sollte er um Eva kämpfen? Hätte er überhaupt noch eine Chance? Oder sollte er die Menschen einfach aufgeben, die er so sehr liebte? Die er aber immer wieder vernachlässigt hatte, weil ihm der Kampf gegen das Verbrechen oft wichtiger gewesen war, und weil er eine Zeit lang geglaubt hatte, mit Alkohol und Tabletten könnte er die Erinnerung an Charlys Tod betäuben. Charlys, seines besten Freundes, und er war schuld! Oder sollte er ganz neu beginnen? Wer war der andere in Evas Leben? Könnte er ihm Paroli bieten?
Das Telefon klingelte. Beck war am anderen
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