Die Sünde
diesen Prozeduren noch lebte.«
Es ging ein lautes Raunen durch den großen Besprechungsraum.
Nawrod erhob seine Stimme: »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie der Täter aussieht und was sein Motiv ist. Außer der DNA des Opfers gibt es keinerlei Spuren, die einen Ermittlungsansatz bieten. Der Täter hat uns die Körperteile per Post zugeschickt. Wir nehmen nun an, dass er heute oder spätestens morgen bei irgendeiner Poststelle in Heidelberg wieder ein Päckchen aufgibt.«
Nawrod gab Sabine Bauer ein Zeichen. Sie ließ die elektrisch betriebenen Rollläden halb herunter und schaltete den Beamer ein. Auf einer großen Leinwand waren der Reihe nach Aufnahmen der drei Päckchen aus verschiedenen Perspektiven samt Inhalt zu sehen.
Danach fuhr Nawrod fort: »Die Sache ist sehr ernst und die Presse macht schon gehörig Druck. Sie bilden nun Zweierteams und besetzen die Poststellen. Wir haben entsprechende Unterlagen für Sie vorbereitet. Dabei ist es wichtig, dass Sie unerkannt bleiben. Stellen Sie Ihr Fahrzeug verdeckt oder in genügend großem Abstand ab. Reden Sie vor Ort mit denen, die das Sagen haben, und fragen Sie, wo und wie Sie sich am besten postieren können. Wir fahren den Einsatz zunächst einmal heute und morgen während der gesamten Öffnungszeiten. Für Verpflegung müssen Sie selbst sorgen. Lassen Sie Ihren Partner aber zu keinem Zeitpunkt allein, denn ich garantiere Ihnen, dass gerade dann der Täter auf der Bildfläche erscheinen. Personen, die ein Paket, wie eben gesehen, aufgeben wollen, sind sofort anzuhalten, zu kontrollieren und zu bitten, das Paket zu öffnen. Im Erfolgsfall ist die betreffende Person auf der Stelle festzunehmen. Achten Sie bitte auf Eigensicherung. Durchsuchen Sie Tatverdächtige auf Waffen und Beweismittel und legen ihnen unverzüglich Handschließen an. Danach bringen Sie die Personen sofort hierher, damit wir sie uns vorknöpfen können.«
Nawrod schaute in die Runde. »Wenn Sie keine Fragen mehr haben, bitte ich um schnellstmögliche Ausführung der Maßnahme. Für Ihren Einsatz schon mal vielen Dank und viel Glück.«
Sie wusste nicht, warum, aber genau so hatte sie sich den Täter vorgestellt. Als der Mann die Postfiliale betrat, schnellte der Puls der jungen Polizeimeisterin in die Höhe. »Ich fresse einen Besen, wenn das nicht unser Mann ist«, flüsterte sie. Instinktiv tastete sie nach der Dienstwaffe, die sie verdeckt unter der Jacke trug. Gleichzeitig suchte sie sofort Blickkontakt mit ihrem Kollegen, der etwa vier Meter entfernt, halblinks von ihr, hinter einer spanischen Wand saß, die für diskrete Kundengespräche aufgestellt worden war. Der Kollege hatte von dort zwar keine Sicht auf den Eingang, doch konnte er die drei Postschalter sehr gut beobachten.
»Scheiße, scheiße, scheiße, warum guckt der nicht her!« Der Verzweiflung nahe, versuchte sie, ihren Kollegen per Telepathie dazu zu bewegen, seinen Kopf in ihre Richtung zu drehen. Es dauerte endlose Sekunden bis sich, mehr durch Zufall, endlich ihre Blicke kreuzten. Unauffällig gab sie ihrem Kollegen ein Zeichen. Er verstand sofort. Er erhob sich, um durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Sichtblenden hindurchzuspähen. Dann hob er in Richtung seiner Kollegin den Daumen.
Der Verdächtige hatte sich inzwischen an das Ende einer kleinen Warteschlange gestellt, die sich vor dem mittleren Schalter gebildet hatte. Er war etwa 30 Jahre alt, 1,80 Meter groß, athletisch gebaut und hatte genau so ein Paket in der Hand, wie es der Beamer vor zweieinhalb Stunden an die Leinwand geworfen hatte. Den Kragen seiner schwarzen Lederjacke hatte der Verdächtige nach oben gestellt. Auf dem Kopf trug er eine unauffällige Baseballmütze. Eine Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Bei den dünnen Lederhandschuhen, die er trug, handelte es sich wahrscheinlich um Golf- oder Reiterhandschuhe, vermutete die Beamtin. Es passte alles in das Raster des gesuchten Täters. Hinzu kam, dass sich der Mann auffällig oft umsah, sich mehrfach mit dem linken Handrücken über den Mund fuhr und nervös auf der Stelle trat.
Die junge Beamtin saß auf einem Stuhl hinter dem Tresen. Sie musste sich erst in einen daneben befindlichen Raum begeben, um über diesen kleinen Umweg in den Kundenraum zu kommen. Unauffällig erhob sie sich von ihrem Stuhl. Im Nebenraum zog sie ihre Heckler & Koch und vergewisserte sich, dass sie durchgeladen war. In diesem Moment hörte sie auch schon, wie ihr Kollege brüllte: »Hände hoch!
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