Die Suenden der Vergangenheit
deiner Tante glauben, was ich sehr bedaure. Sie hat dir niemals erzählt, dass deine Eltern so gestorben sind, wie dir das letzte Nacht beinahe passiert wäre. Ihre Beschützer waren nicht zur Stelle, weil sie nicht überall sein können. Peter ist ein solcher Beschützer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, über dich zu wachen. Aber auch er war niemals offen zu dir, so dass du völlig ahnungslos geblieben bist. Deine Eltern starben einen grausamen Tod durch die Hände von unzähligen Angreifern, die wie die junge Frau gestern Nacht über sie hergefallen sind. Ich weiß genau, was dir passiert ist. Ich kann solche Dinge sehen und nicht nur Geister. Ich hab es am eigenen Leib gespürt. Deine Angst, deine Fassungslosigkeit und deinen Willen, das alles nicht wahr sein zu lassen. Doch dein Geist ist stark und rational. Die Tatsachen wirst du vor dir selbst nicht einfach verdrängen können."
Nico fuhr mit ihrer Erklärung fort. Breed, Immaculate, Aryaner, Ghouls. Das mochte viel auf einmal sein, aber das eine ließ sich ohne das andere kaum nachvollziehen.
"…Es gibt hier jemanden, der genau wie du fern von allem aufgewachsen ist. Romy… Sie war früher Polizistin und hat von diesem folgenschweren Erbe erst vor ein paar Wochen erfahren. Sie war genauso krank, wie du es jetzt bist. Genauso entsetzt und abgestoßen. Allerdings hatte sie Fähigkeiten, die sie sehen ließen, was dir wohl nicht vergönnt ist, obwohl du bestimmt eine besondere Gabe verfügen wirst. Sie sind sehr vielfältig… Ich denke, das genügt vorerst, um in deinen Augen vollkommen verrückt zu erscheinen. Ich beantworte dir gerne alle Fragen, wenn du noch mit mir sprechen möchtest…“
Nico hob die Hand an den Mund und fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Oberlippe.
„Eine Sache noch… Das Zahnfleisch über deinen Eckzähnen prickelt gerade. Es fühlt sich oft wund an, weil du solchen Hunger verspürst. Deine Tante verfügt genauso wie ich über diese besondere Ausstattung, weil Immaculate wohl auch Vampire genannt werden können, obwohl sie niemals von unschuldigen Opfern trinken. Aber sie kann nicht ohne Blut überlebt haben, selbst wenn sie diesen Akt vor dir geheim gehalten hat. Sie ist eine Immaculate und essen allein erhält sie nicht am Leben, egal wie sehr sie es versucht. Sie hat einen Weg gefunden, sich zu sättigen, während sie dich verhungern ließ. Das war der Grund, warum Peter diesen Fehler begangen hat. Er konnte nicht mit ansehen, wie du vor seinen Augen immer weniger wirst. Hätte ich dir gestern Nacht kein Blut gespendet, dann wärst du längst tot! Es dich trinken zu lassen, ist effektiver und du wirst selbst nach dem Erbrechen seine Wirkung fühlen, doch das hätte ich dir niemals zugemutet, ohne deine Zustimmung zuvor eingeholt zu haben. Es ist für dich unvorstellbar, diesen Drang zu verspüren. Es ist widerlich und erniedrigend, aber Teil deiner Person, auch wenn es dir einen herben Schlag versetzt!“
Nico schwieg betroffen, weil sich die Sache in ihren eigenen Ohren schon schrecklich anhörte. Sie rechnete beinahe damit, dass Gloria ausrasten und sie schlagen würde, weil sie ihre Tante mit ihren Behauptungen in den Dreck zog.
Der nächste Atemzug, den Gloria nahm, nachdem Nico ihr all diese unmöglichen Dinge offenbart hatte, war sehr viel tiefer als die vorhergehenden. Nein, eigentlich war es der erste richtige Atemzug, den sie tat, seit Nico angefangen hatte, ihr über die sogenannten Immaculates zu erzählen.
Der herbe Schlag, von dem ihr Gegenüber sprach, war gar kein Ausdruck. Es war mehr als das. Es klang fast schon nach einem tödlichen Treffer. Sie hätte jetzt schreien und auf Nico einschlagen können, doch das hätte rein gar nichts an allem geändert. Nico hatte ihr zu viele Dinge aufgezeigt, gegen die Gloria nicht logisch argumentieren konnte und wollte. Denn sie hatte ihr auch gesagt, wie ihre Eltern gestorben waren. Angeblich. Doch welchen Grund hatte Nico, sie anzulügen? Wahrscheinlich genau denselben, den Peter brauchte, um sie zu hintergehen. Und dann auch noch Mathilda. Gloria fühlte sich in diesem Augenblick wie der einsamste Mensch auf der Welt. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben und sie glaubte niemandem mehr. Das hier war vollkommen irre.
„Du hättest also auf meine Zustimmung gewartet, bevor du mir noch mehr – Blut gegeben hättest? Das ist sehr nett von dir, aber keineswegs nötig“, erwiderte Gloria bissiger als beabsichtigt.
Sie würde ganz sicher nie wieder
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