Die Suenden der Vergangenheit
Freundes nicht mit seinen Problemen überfiel.
Theron hatte schon beschlossen, wohin die Reise gehen sollte. Er nahm nie den leichtesten Weg, sondern strebte direkte Konfrontationen an, um eine schnelle Katharsis herbei zu führen. Außer in der Sache seinen Onkel betreffend.
Alaska, nördlich von Dillingham, Grenzgebiet des Wood Tikchik State Parks
Theron materialisierte sich auf dem Grundstück, auf dem Harper Lodge stand, obwohl die Bezeichnung für das gepflegte Holzhaus ziemlich untertrieben war. Es hatte drei Stockwerke, das ausgebaute Dachgeschoss mit eingerechnet, und verfügte über einen Anbau, der als Garage und weitläufige Terrasse diente, die man vom großen Schlafzimmer des ersten Stockes aus betreten konnte.
Vor Jahren war es sein liebster Rückzugsort gewesen, weil er die Einsamkeit Alaskas als sehr beruhigend empfand. Die Lodge stand geschützt in den Ausläufern des Nationalparks, wohin sich kaum jemand verirrte. Die nächste Ortschaft war meilenweit entfernt und Theron hatte sich früher mit Hilfe eines Helikopters versorgt, weil er gerne flog.
Es war beinahe genau 25 Jahre her, dass er zum letzten Mal hier gewesen war. Er verblieb ein dunkler Schatten, der mit der hier herrschenden Dunkelheit verschmolz. In New York würde die Sonne bald aufgehen, doch die Uhrzeit hier zählte vier Stunden früher. Die Nacht hier draußen war wirklich stockfinster, wie man sie in der Stadt niemals erlebte. Später würde es richtig warm werden, da er sich im Südwesten Kanadas befand, wo ein kontinentales Klima herrschte, doch gerade jetzt kribbelte die kühle Nachtluft in seinen Lungen und wirkte wie ein Aufputschmittel.
Theron ging ein paar Schritte auf das Haus zu und ließ dann den Rucksack auf den Boden gleiten, um wieder bewegungslos zu verharren und auf die mit Witterungsfarbe überzogene Fassade zu starren, als könnte er dort etwas erkennen, was sonst niemand sah. Es fehlte nur noch der peitschende Regen, den er in New York zurückgelassen hatte. Aber die Erinnerungen an die Nacht kamen von ganz alleine und brauchten keine weitere Ermunterung.
Es reichte vollkommen an den Ausdruck in Nicos Augen zu denken, in denen sich die Vergangenheit widerzuspiegeln schien. Es tat ihm wirklich leid, dass sie das mit ansehen hatte müssen.
Der Kampf war in dem weiträumigen Wohnzimmer entbrannt, wo sie ein paar Jahre zuvor glücklich und zufrieden auf die Geburt seiner Tochter angestoßen hatten. Irgendwann war er durch ein Fenster geflogen, dessen Scherben sich wie die der Vitrine in seinen Körper gebohrt hatten. Allerdings hatte er schon zwei tiefe Einstichwunden gehabt, so dass diese kleinen Verletzungen in den schwereren untergingen. Die körperlichen Schmerzen waren nichts im Vergleich zu der Panik, die ihn langsam erfasst hatte, weil er einfach nicht zu Malakai durchdringen konnte. Er durfte nicht zulassen, dass sein Onkel ihn ernsthaft verletzte, alles andere würde er ihm gerne verzeihen, aber gegen die Gesetze der Immaculate kam er selbst auch nicht an. Schon allein dieser Angriff hätte Malakai in ernste Schwierigkeiten bringen können, wenn jemand davon erfuhr.
Es hatte Stunden gedauert, der Horizont verfärbte sich schon und dann würden seine Kräfte endgültig mit dem erlittenen Blutverlust erlahmen.
Wieso hatte er die Finte nicht durchschaut? Malakai hatte eine komplizierte Angriffstaktik gewählt, die sein Onkel ihm beigebracht hatte, da war er selbst noch ein Knabe gewesen. Er wusste instinktiv, wie man den Hieb abwehrte und handelte, ohne nachzudenken. Sein verzweifelter Aufschrei hatte die schlafenden Tiere aufgeschreckt und Vögel waren aus den Bäumen hektisch in den Nachthimmel geflattert, während der Kopf des ehemaligen Kriegers über den Rasen kullerte. Malakais Schwert war rasiermesserscharf und seine eigenen Hiebe tödlich, auch wenn er nicht mehr auf der Höhe war. Völlig entkräftet und von dem Anblick des toten Körpers erschüttert war er damals auf Hände und Knie gefallen. Er konnte genau sehen, wie das Blut aus dem abgeschnittenen Hals des Toten auf den Boden quoll.
Theron ging in die Hocke und legte die gespreizte Hand auf das Stück Erde, die vom Blut seines Onkels durchtränkt worden war. Sein bartschattiges Gesicht versteinerte, als er Tränen in den Augen brennen spürte. Er hatte kein einziges Mal zugelassen, Tränen über seine Freveltat zu vergießen. Es stand ihm einfach nicht zu.
Nichts war so gelaufen, wie er es sich in seinen wohl durchdachten Plänen
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