Die Suenden der Vergangenheit
nie, aber vielleicht ließ ihn das Zusammensein mit Nico ebenfalls etwas schüchterner werden. Und ein Geist sollte nun wirklich keine Kommentare über gewisse Körperteile von ihm abgeben und sei es auch nur etwas über seine höchst attraktiven Augen.
Nico wandte den Kopf in die Richtung, in der sich ihr Schutzgeist befinden musste und noch einmal trat dieser leicht weggetretene Ausdruck voller Unglauben und tief empfundener Zuneigung auf ihr Gesicht. Bei diesem Anblick ging Damon regelrecht das Herz auf. Nico sah unglaublich anziehend aus, wie sie so da lag, in den hellen Laken, mit ihrem Porzellanteint, der zerwühlten Frisur, dem leicht geöffneten vollen Kussmund und diesen wunderschönen braunen Augen, die unter dem dichten Wimpernkranz hervorblickten und kein Wässerchen trüben konnten.
Er hörte gar nicht zu, was sie sagte. Er gab sich schon wieder eigenen Fantasievorstellungen hin, die sich darum drehten, was er noch alles mit ihr anstellen konnte, wo er doch keine Angst mehr haben musste, ihr richtig wehzutun. Sie könnte ihm wehtun. Das wäre mal eine verlockende Abwechslung.
Damons Lächeln wurde höchst ungezogen, wich aber in der nächsten Sekunde einem geschockten Aufschrei.
„Whoa... SCHEISSE!“
Beim Anblick Mélusinas kippte er beinahe rückwärts von der Matratze. Das Blut schoss ihm in den Kopf und nun war er es, der lichterloh brannte. War sie die ganze Zeit hier gewesen? Hatte sie zugesehen? Jetzt war der Geist nicht einfach mehr ein diffuser Nebel, den man auch als nicht existent abtun konnte. Nein, es hatte ein Gesicht. Ein Hübsches. Ein sexy Geist sozusagen. Konnte man Geister wirklich attraktiv finden? Lieber nicht darüber nachdenken.
Nico reagierte gar nicht auf Damons Überraschung, sie blinzelte nur erstaunt, als Mélusina sich zu ihr herunterbeugte und ihr einen Kuss auf die Wange gab, das sich wie ein leichtes Kitzeln anfühlte, wo sie niemals zuvor etwas gespürt hatte, wenn sie ihr Schutzgeist berührt hatte.
Sie bedeckte ihre Wange mit ihrer Hand und sah gerührt zu ihrer langjährigen Freundin auf, der sie niemals richtig nahe hatte kommen können. Kurz bevor sie sich wieder auflöste, sah man eine Träne aus Licht auf ihrer Wange glitzern.
~ Ich lasse euch wieder alleine, Nico! Es tut gut, dich fühlen zu können. Er soll gut auf dich aufpassen, meine Tochter! ~
Nico schluckte schwer und nickte mehrmals, bis sie ihre Stimme wiederfand.
„Passt du für mich auf Babu auf?“, bat sie leise, weil sie wollte, dass Damon wusste, dass ihr Schutzgeist nicht die ganze Zeit im Hintergrund lauerte und dass ihre Privatsphäre gewahrt war.
Nico wandte sich wieder an Damon, um ihn unsicher anzusehen.
„Die Verwandlung hat ein weiteres Tor in der Welt der Geister für mich geöffnet. Ich weiß nicht genau, wie ich damit umgehen soll… Aber du weißt nun wenigstens, dass ich keine Selbstgespräche führe, oder?“
Nico legte den Kopf schief und lächelte scheu zu ihm auf, da sie sich gut an seine Skepsis erinnerte, als sie ihm zum ersten Mal von ihrem Kontakt zu toten Menschen erzählt hatte.
„Ja, ich hab’s verstanden“, sagte Damon mit einer Stimme, die eine erschrockene Tonlage höher geworden war. Noch immer starrte er auf die Stelle, an der er Mélusina kurz aufleuchten und dann verschwinden sehen hatte.
„Und ich denke, wir sollten jemanden fragen, der sich damit auskennt.“
Damon warf sich zurück in die Kissen, drehte sich auf den Rücken und starrte auf den bauschigen Betthimmel, der sich in der leichten Brise, die zum geöffneten Fenster hereinwehte, bewegte. Nico schmiegte sich erneut an ihn. Er gab sofort nach. Es war noch nie so leicht für sie gewesen, tatsächlich Verständnis von ihm zu bekommen oder sie zumindest glauben zu lassen, er würde sie verstehen.
Damon würde schon noch begreifen, was mit dieser Licht-Sache gemeint war. Sie würden es gemeinsam herausfinden, doch er hoffte sehr darauf, beim nächsten Geisterbesuch anständig angezogen zu sein.
Anfang August; spät nachts...
Lautes Wehklagen erfüllte das dunkle Gebäude, das von hohen Mauern umgeben war, auf denen dicker Stacheldraht mit gefährlichen Widerhaken allzu wagemutige Eindringlinge von ihrem Vorhaben abbringen würde. Über die letzten Jahrzehnte waren hier in der Gegend sehr viele streunende Neugierige verschwunden, die sich auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer befunden hatten und ihren Mut beweisen wollten, indem sie das trostlose Gemäuer bei Nacht betraten.
Niemand
Weitere Kostenlose Bücher