Die Sünden des Highlanders
stammten natürlich von der armen Frau, die sie gefoltert haben. Aber diesmal hörten diese Gefühle rasch auf. Anfangs dachte ich, die Vision wolle mir etwas anderes zeigen. Aber nein, die Frau spürte keine Angst und keine Schmerzen mehr. Die meisten ihrer Wunden sind ihr erst nach ihrem Tod zugefügt worden.« Morainn dachte an den Moment ihrer Vision, als die Angst und die Schmerzen plötzlich vorbei gewesen waren. Sie verzog das Gesicht, dann nickte sie. »Die Frau hatte wahrscheinlich ein schwaches Herz. Sie wusste genau, was auf sie zukommen würde, sie hatte ja gehört, was mit den anderen Frauen passiert war. Ihre Angst war so groß, dass ihr schwaches Herz der Belastung nicht standhielt. Es hörte auf zu schlagen.«
Nach einem langen Schweigen sagte Simon leise: »Ich glaube, ein Brief an ihren Gemahl, in dem ihm davon berichtet wird, könnte sein Leid ein wenig lindern.«
»Ich kümmere mich darum«, meinte Tormand. »Er wird es bestimmt nicht bezweifeln, denn er glaubt seit langem an diese Gaben, wie Morainn sie hat. Und du hast recht, es wird seinen Schmerz ein wenig lindern. Die Vorstellung, wie Marie vor ihrem Tod gelitten hat, quält ihn schrecklich.«
»Danach kam jedenfalls Wut, eine blinde, schäumende Wut«, fuhr Morainn fort. »Ich sah das Messer, es blitzte immer wieder auf. Die Frau stach damit zu, bis ihr der Mann schließlich Einhalt gebot. Früher war das Messer mit kalter Präzision geführt worden, diesmal nur mit blinder Wut. Die Frau fluchte so heftig, dass ich ihren Worten kaum einen Sinn entnehmen konnte.«
Morainn rieb sich die Stirn. Bei dem Versuch, sich einen Weg durch das Knäuel an Flüchen und Drohungen zu bahnen, tat ihr der Kopf so weh wie noch nie nach einer Vision. Als Tormand ihre Hand sanft beiseiteschob und anfing, ihre Schläfen zu massieren, ließ sie ihn gewähren. Es fühlte sich gut an und half ihr tatsächlich, klarer zu denken – und das war momentan wohl das Wichtigste.
»Erinnert Ihr Euch noch an ihre Worte?«
»Ja, ich erinnere mich an das meiste, aber ich brauche ein bisschen Zeit, um es zu ordnen. Sie stieß vor allem Flüche und grauenhafte Drohungen gegen all jene aus, die ihr Leben zerstört hatten. Sie schiebt die Schuld an all ihrem Elend auf die anderen, als wäre sie nichts als ein armes unschuldiges Opfer. Aber sie hat nicht die Seele eines Opfers«, stellte Morainn leise fest. »Ich glaube, sie war schon bei ihrer Geburt von Wut erfüllt, und es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes, damit ihre Wut solche Ausmaße annahm.«
»Und Tormand lieferte diesen Anstoß?«, fragte Uilliam. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Tormand fügt Frauen kein Leid zu.«
Morainn wollte ihm nicht widersprechen. Sie wusste, dass der junge Mann von körperlichem Leid sprach, und Tormand hatte wirklich ein ausgesprochen freundliches Wesen. Wahrscheinlich hätte er eine Frau nie wissentlich grausam behandelt. Traurig war nur, dass er es wohl nicht wusste und nicht merkte, wenn er mit seinem Tun jemanden verletzte. Doch eigentlich glaubte Morainn, dass bei dieser Frau vor allem der Stolz verletzt worden war. Sie hatte Tormand haben wollen und ihn nicht bekommen. Offenbar war sie unfähig, sich selbst an irgendetwas in ihrem Leben die Schuld zu geben, und schob sie deshalb auf die anderen Frauen und auf Tormand. So simpel konnte es durchaus sein, auch wenn es völlig verrückt war.
»Vielleicht hat er die Frau ja nicht einmal gekannt«, sagte Morainn, nachdem sie es sich noch einmal ganz genau überlegt hatte. »Die Frau ist verrückt. Vielleicht hat Sir Tormand sie nie getroffen.«
»Sie hat ihn aus der Ferne geliebt?«
Uilliam klang so ungläubig, dass Morainn fast lächeln musste. »Um Liebe geht es bei dieser Frau nicht, nur um Stolz und Habgier. Sie hatte beschlossen, dass er ihr gehören sollte, und die anderen Frauen standen ihr im Weg.«
»Aber warum will sie, dass Tormand so leidet?«
»Weil er es zuließ, dass diese Frauen ihr im Weg standen. Er hat bewiesen, dass er nichts weiter ist als ein schwacher Mann, der mit dem denkt, was in seiner Hose ist, und nicht mit dem, was er im Kopf hat.« Sie ignorierte Tormands verärgertes Brummen und das breite Grinsen der anderen. Nach einem weiteren Schluck Apfelmost – nach solchen Visionen hatte sie immer großen Durst, vor allem auf etwas Süßes – fuhr sie fort: »Vergesst nicht, das alles entspricht nur meinem Gefühl, es sind nur meine Schlüsse, die ich aus dem wilden Taumel an Gefühlen in der
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