Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
einquartiert wurde, ist ein heruntergekommener Anstaltsbau aus viktorianischer Zeit, von außen sehr beeindruckend, innen institutionalisierte Tristesse und fleckiges Resopal. Männer und Frauen sind getrennt untergebracht, was mir nur recht ist.
Ich habe mein eigenes Zimmer, und es ist hier in vielerlei Hinsicht besser als auf dem Internat, aber meine Mitbewohner sind schon ein komischer Haufen. Lauter Spinner. Ich weiß noch, wie vor Jahren einer meiner geistlosen Kollegen in der Finanzbehörde eines dieser »witzigen« Schilder über seinem Schreibtisch hatte: »Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten, aber es hilft!« War schon damals nicht witzig.
Von wegen Irrenhaus. Ein Trauerspiel ist das. Wer hier einsitzt, gilt als unzurechnungsfähig. Ich habe das Gefühl, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier gelandet zu sein, aber das wäre ja nichts Neues. Fast mein ganzes Leben hat auf die eine oder andere Weise auf Täuschung beruht. Es steht mir frei, mich mit den anderen abzugeben, und so verbringe ich die meiste Zeit allein.
Zum Anstaltsgelände gehört ein bewirtschafteter Hof, und obwohl es schon eine Weile her ist, dass ich zuletzt körperlich gearbeitet habe, macht es mir noch immer Freude, mal kräftig anzupacken und mir die Hände schmutzig zu machen. Ich bin kein junger Mann mehr, fühle mich aber so fit wie schon lange nicht mehr.
Ich gelte als Vorzeigepatient. In der Klapse gibt es keine Gefangenen, nur Patienten. Politisch korrekter Wahnsinn. Aber die Wärter und die Schwestern sind in Ordnung, und ich mache ihnen keine Probleme. Man scheint hier verstanden zu haben, dass es sich bei meinem »Verbrechen« um eine einmalige Angelegenheit handelte. Ich sei »ausgerastet«. Also bekomme ich ein niedrig dosiertes Antidepressivum und gehe inmitten all des Irrsinns friedfertig meiner Wege.
Um über meinen Geisteszustand zu befinden, wird alle sechs Monate ein psychologisches Gutachten von mir erstellt. Werde ich als gesund eingestuft, könnte ich entlassen werden. Kaum auszudenken. Ich will hier nicht weg. Obwohl ich weder eine Gefahr für die Allgemeinheit noch für mich selbst bin, habe ich beschlossen, hier zu bleiben. Sollte es jemals soweit kommen, gedenke ich, einen Selbstmordversuch vorzutäuschen.
Das Haus ist verkauft worden, um für Alices Pflegekosten aufzukommen und für die Unterhaltszahlungen, die Barney Dwyer für Eugene bekommt. Alice ist jetzt in einer privaten Einrichtung. Meine Anwälte haben mir versichert, dass sie ein sehr schönes Zimmer habe und eine erstklassige Behandlung erhalte. Von beidem wird sie wenig merken. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann sie noch jahrelang in diesem Zustand verharren. Urheberrecht und Verkaufserlöse meiner Bücher gehen an Madame Véronique. Ich bin international diskreditiert, insbesondere jedoch in Frankreich, wo man mir nicht verzeihen kann, einen Kriegshelden bestohlen und aus seinem und dem Tod seines Enkels Profit geschlagen zu haben. Wenn die wüssten, dass alles noch viel schlimmer war, dass ich es war, der ihren Tod bewirkt hat. Diesen Teil meiner Geschichte habe ich den Gutachtern verschwiegen. Warum noch Brandstiftung und Mord auf die Liste meiner Missetaten setzen? Das gäbe nur wieder unnötiges Theater.
Journalisten haben mehrfach versucht einen Besuchstermin mit mir zu bekommen, und einige haben sich mir gar als Ghostwriter angeboten. Diese Anmaßung! Ich empfinde solche Offerten als beleidigend und habe sie allesamt ausgeschlagen – bis auf jene einer französischen Journalistin. Zumindest nahm ich an, sie wäre Journalistin. Ihre Briefe waren sehr förmlich, und sie ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Ihr Name ist Annalise Papon. Die ersten fünf Briefe habe ich ignoriert, auf den sechsten habe ich dann geantwortet, mich für ihr Interesse bedankt, ein Interview abgelehnt und Bedauern darüber geäußert, sie nicht auf meine Besucherliste setzen zu können. Ich habe noch nie jemanden auf meine Besucherliste gesetzt.
Ihre Antwort kam vor einem Monat und war, gelinde gesagt, erstaunlich.
Anscheinend ist sie Anwältin, keine Journalistin, hat aber kein Interesse an meinem Fall oder den Anklagen gegen mich. Sie schreibt, sie wäre kürzlich zum ersten Mal Mutter geworden, und die Geburt ihres Sohnes habe sie auf eine persönliche Entdeckungsreise geführt, von der sie sich mittlerweile wünsche, sie nie begonnen zu haben.
Laut Geburtenregister der Stadt Bordeaux sei sie am 11. März 1974 in einem kleinen Dorf
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