Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
sagte ihr, sie solle sich nicht lächerlich machen, man könne doch über alles reden. Ich fing an mich zu rechtfertigen. Was denn so schlimm daran sei, etwas zu veröffentlichen, was andernfalls vermutlich weggeworfen worden wäre?
Alice wollte mir nicht zuhören. Mein ganzes Leben sei eine einzige Lüge gewesen, sagte sie und erinnerte mich daran, dass sie sich vor allem dieser Bücher wegen in mich verliebt hatte. Automatisch schossen mir all die Peinlichkeiten durch den Kopf, die ich irgendwann einmal zu ihr gesagt hatte. Sachen wie »Ohne dich hätte ich das nicht schreiben können« oder »Du bist meine Quelle der Inspiration«, ganz zu schweigen von den zahllosen Widmungen und Danksagungen: »Für Alice, ohne die all das nicht möglich gewesen wäre.«
Ich erkannte, was ich die vergangenen dreißig Jahre nicht erkannt hatte. Man muss einen Menschen nicht um seiner selbst willen lieben. Man kann auch die Vorstellung lieben, die man sich von diesem Menschen macht. Man kann ihn zu dem Menschen idealisieren, den man braucht. Alice hat den Menschen geliebt, den sie in mir sehen wollte. Auf die eine oder andere Weise ist es mir somit gelungen, alle Menschen umzubringen, die mich jemals geliebt haben. Wo meine Mutter wohl ist? Wo ist sie? Könnte sie mich geliebt haben? Vielleicht hätte ich sie dann auch getötet. Die Hure. Jean Luc, mein kleiner Freund. Ich erinnere mich noch daran, wie du deine kleinen Arme um meine Schultern gelegt hast, wenn ich dich huckepack über die Terrasse trug.
Monsieur d’Aigse, der Mann, der mir gegenüber nichts als Freundlichkeit und Wohlwollen erkennen ließ. Sie haben mir Ihr Herz geöffnet und mich in Ihrem Haus willkommen geheißen, und ich habe es Ihnen erst mit dem Tod, dann mit Diebstahl vergolten.
Laura, du bist ein glückliches, normales Mädchen gewesen, bis du in meine Fänge gerietst, und ich dir das Leben so zur Hölle machte, dass du im Tod den einzigen Ausweg sahst.
Auf einmal schämte ich mich zutiefst und fühlte mich wieder wie der Junge von einst, der für seinen Vater nicht gut genug war, weil er sich mit Saft bekleckert hatte. Jener kleine Junge, dessen Vater ihn musterte wie ein Pferd, an dem man einen Makel zu finden meint.
All das wirbelte mir durch den Kopf, als ich das zweite Mal auf Alice einschlug, als ich tobte und auf sie eintrat, sie prügelte und zu Boden stieß, mit den Fäusten auf sie einhieb, als ich spuckte und biss und an ihr zerrte und zog, bis ich es reißen und brechen hörte.
XXIV
BARNEY
Ich habe meinen Augen ja kaum getraut, als es an jenem Abend vor drei Monaten spätabends geklingelt hat und Oliver da blutüberströmt vor der Tür gestanden ist. Erst dachte ich, er hätte vielleicht einen Unfall gehabt, mit dem Auto. Gezittert wie Espenlaub hat er, aber gemeint, er wäre nicht verletzt, und als ich ihn mir dann genauer angeschaut habe, hab ich auch nirgends einen Kratzer entdecken können.
»Mein Gott, was ist denn passiert?«, habe ich gefragt.
»Alice«, hat er nur gesagt. »Sie braucht Hilfe.«
Ich bin ja nur froh, dass meine Mam das nicht mehr erleben musste. Das hätten ihre Nerven nicht verkraftet, und ich wäre wohl kaum so schnell aus dem Haus gekommen.
So hatte ich Oliver auf einen Stuhl im Flur gesetzt und war über die Straße zu Alices Haus gerannt. Die Tür stand weit offen und ich schnell rein, obwohl mir ja davor gegraut hat, was ich vorfinden würde. Sie war in der Küche. Zuerst hatte ich das Bündel, was da vor der Hintertür lag, für einen Berg Schmutzwäsche gehalten, die noch in die Maschine musste. Aber dann habe ich die Blutspuren auf dem Boden gesehen und an der Wand darüber, und mir war klar gewesen, dass es Alice war. Der Herr steh mir bei, hab ich gedacht, aber diesen Anblick werd ich wohl mein Lebtag nicht vergessen. Ich habe mich neben sie hingekniet und ihren Kopf angehoben. Sie hat nur ganz schwach geatmet, war aber bei Bewusstsein. Ich war richtig am Heulen, als ich versucht habe sie zu halten und dabei an das Telefon zu kommen, das hinter ihr an der Wand hing. Blut kam aus ihrem Mund, kleine rote Bläschen, die ihr wie Schaum vor den Lippen standen. Ich habe die Leute vom Notruf angebrüllt, dass sie sofort einen Krankenwagen schicken sollen, und ihnen die Anschrift gegeben. Sie meinten, sie würden auch Polizei schicken, aber da hatte ich den Hörer schon fallen lassen, weil ich nicht gleichzeitig mit denen reden und Alice halten konnte. Ich wollte mit ihr reden. Im Fernsehen heißt es
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