Die Suendenburg
schnitzte, verlegte er sich aufs Nachdenken. Er war ruhiger geworden und hörte auf, Walnüsse mit der Faust zu knacken.
»Falls Aistulf öffentlich macht, was ich geschrieben habe, geht das weder für dich noch für mich gut aus.«
»Wenn er das tut, das schwöre ich dir, ist er bald ein toter Mann.«
»Und ich bin bald eine tote Frau«, erwiderte ich gereizt. »Vielleicht fällt uns ein Vorgehen ein, bei dem ich überlebe. Meinst du, deine Schnitzerei dafür kurz unterbrechen zu können?«
»So übel sieht es für dich aus?«
Ich atmete tief durch. »Du hast ein Recht, es zu erfahren. Ich …«
»Ich will die Einzelheiten nicht wissen, Elicia. Was immer es ist, behalte es für dich. Tu mir den Gefallen.«
»Nun gut, aber … Möchtest du denn gar nicht …«
»Nein.«
Eine Weile schwiegen wir. Baldur schnitzte an seinem tausendundersten Pfeil, und ich stand neben dem Strohballen, auf dem er nicht rühriger als ein müder Gaul lag. Ich war bereit gewesen, ihm alles zu erzählen, auch auf die Gefahr hin, dass er mich schlagen und beschimpfen würde. Meine Überlegung war, dass er sich zwar in seiner Ehre verletzt fühlen würde, ihm jedoch klar war, dass mein Ehebruch gerade deswegen unter allen Umständen geheim bleiben musste. Eifersucht, das wusste ich, würde keine Rolle spielen. Wir haben uns nie geliebt und nur kurze Zeit begehrt. Ich rechnete also damit, dass er sich nach einem Wutausbruch beruhigen würde. Er wollte Graf werden, und das konnte er nur, wenn Aistulf das Geschriebene weder öffentlich machte noch uns damit erpresste und zum Verzicht auf Titel und Land zwang.
»Uns bleibt nur noch eine Möglichkeit«, sagte ich. »Ich komme auf meinen Vorschlag vom Dezember zurück. Aistulf muss sterben.«
Da Baldur nicht darauf einging, fügte ich hinzu: »Ich weiß, es widerstrebt dir, hinterrücks zu töten. Ja, meinst du denn, ich tue das gerne? Wem habe ich je etwas Böses getan? Ich war immer gut zu den Dienern, ich habe an die Armen stets mehr Almosen verteilt, als üblich gewesen wäre, ich habe meinen Vater geliebt, und ich habe meine Mutter geehrt, obwohl mir Letzteres nicht leichtfiel. Ich habe für das Seelenheil meiner Ahnen gebetet, ich habe getrauert, als Bilhildis ’ Söhne, die Spielkameraden meiner Jugend, im Krieg fielen, und ich habe es noch nicht mal fertiggebracht, die Käfer und Spinnen in meiner Kemenate zu zertreten. Zugegeben, ich war dir gegenüber manchmal reizbar, ich war dir nicht immer eine gute Gefährtin, und zuletzt habe ich … Ich habe …«
»Lass es gut sein, Elicia, ich weiß, was Liebe ist.«
Ich musste einräumen, dass Baldur mich seit einiger Zeit des Öfteren überraschte. Sein Scheunendasein in der Manier eines Diogenes in der Tonne förderte Seiten zutage, die mir – und vermutlich ihm selbst – immer verborgen geblieben waren. Ahnte er, dass mein Kind nicht von ihm war? Ahnte er gar, wer der Vater war? Wie auch immer, seine Gelassenheit, durch die dennoch eine gewisse Verletzlichkeit schimmerte, brachte mich ihm näher, als er mir je gewesen war. Ich wusste, dass er mir nie über diesen Punkt hinaus nahekommen würde und dass ich ihn nie würde lieben können. Aber zum ersten Mal sah ich in ihm einen Menschen mit Ängsten und Hoffnungen und nicht einen sprechenden Belagerungsapparat auf zwei Beinen.
Ich setzte mich neben ihn auf den Strohballen, der seine Wohnung und sein Bett war. Die Luft war durchsetzt von Streu, sie kribbelte in der Nase, und kleine Tierchen sprangen und summten um uns herum.
»Sieh, Baldur, unsere Ehe wurde damals vor Gott geschlossen, aber sie war zu keiner Zeit von Gott beseelt, nicht wahr? Du wirst mir zustimmen. Ich war für dich die Tochter des Mannes, dem du dientest, die Frau, die dir den Aufstieg ermöglichen würde. Nun gut, vielleicht gefiel ich dir auch ein wenig, ich war ja nicht gerade ein Mauerblümchen, aber zuvorderst … Widersprich mir, falls ich mich irre.«
Er widersprach nicht, er schnitzte.
»Du wiederum warst für mich der treueste und wichtigste Diener meines Vaters, der Mann, dem er in der Schlacht sein Leben anvertraute, der sich für ihn in die Bresche warf, der so ähnlich dachte wie er und sich an den gleichen Dingen erfreute. Und ich sage ausdrücklich: Auch als Mann warst du eine beeindruckende Erscheinung, groß gewachsen, stattlich … Du hast mir gefallen. Demnach warst du wie dafür geschaffen, Vaters Erbe zu werden, Herr und Graf der Burg. Diese Überzeugung hat uns mehr verbunden als alles
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