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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Armen herstellen zu können. Ein Narr! Die Ungarn oder die Westfranken oder die Burgunder oder sonst welche werden ihn eines Besseren belehren, aber dann wird es zu spät sein. Er versteht einfach nicht, dass der Krieg manchmal sein Gesicht, nicht aber sein Wesen verändert, und dass er ewig ist. Nur die Toten sehen das Ende des Krieges.«
    »Mich interessiert, was du gegen Aistulf zu tun gedenkst.«
    »Ich tue bereits etwas, du hast es bloß noch nicht bemerkt.«
    »Was?«
    »Warte es ab.«
    »Was ist mit meinen Aufzeichnungen? Was tun wir, um sie zurückzukriegen?«
    Er lächelte. Ich hatte ihn noch nie auf diese Weise lächeln sehen.
    »Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, Elicia, es könnte mir gleichgültig sein, was mit dir geschieht? Falls bekannt wird, was auch immer du mit wem auch immer wann auch immer getan hast, dann warst du die längste Zeit meine Frau gewesen, dann werde ich nämlich Witwer. Agapets Schwiegersohn war ich trotzdem. Und was Aistulf und deine feine Mutter angeht, werden die schon sehr bald um ihr eigenes Überleben kämpfen müssen.«
    Als ich die Scheune verließ, war ich benommen. Ich hatte einen völlig verwandelten Ehemann erlebt, dem ich zutraute, mich höchstpersönlich und mit der Genehmigung eines Gerichts zu ersäufen, mein Kind im Wald auszusetzen – ebenfalls mit Genehmigung des Gerichts – und bald darauf kalt lächelnd den Grafenthron zu besteigen, auf eine Weise, die er mir nicht verriet. Doch das ganze Ausmaß der Bedrohung erkannte ich erst, als ich zurück in meiner Kemenate war und vor dem Spiegel saß, in den ich mich vertiefte. Ich war allein. Zum ersten Mal in meinem Leben gab es niemanden, der mir beistand. Innerhalb eines halben Jahres war ich vereinsamt. Mein Vater war tot, meine Mutter mit mir verfeindet, und nun stellte sich auch mein Gemahl gegen mich – nicht ohne Anlass, wie ich zugeben musste. Baldur war mir nie Ansporn oder Stütze gewesen, er hatte mich weder angeregt noch beraten. Plötzlich merkte ich, dass er so etwas wie eine Wand im Rücken gewesen war, gegen die ich mich zwar nie angelehnt hatte, die aber trotzdem eine gewisse Beruhigung darstellte. Nun fiel auch er weg. Bilhildis, die Vertraute seit Kindertagen, hatte auf Aistulfs Geheiß die Burg verlassen. Sogar die drei F waren mir genommen worden, und nur ihre düsteren Gesänge waren mir geblieben, die allabendlich die Burg erfüllten: Wer tausend lieblose Worte empfangen, wer tausend Tage sich hat gegrämt, dem magert die Seele zu Knochen, den sättigt verzweifelte Tat.
    Doch all diese Verluste hätte ich ertragen, wenn mir Malvin geblieben wäre. Er war in mein Leben gekommen und hatte es mit Gefühlen gefüllt, die ich nie zuvor hatte empfangen oder geben dürfen. Ich glaube, sie zu schenken war mir noch wichtiger, als sie geschenkt zu bekommen. Malvin wollte mich – mich. Er verlangte nach mir. Er bat um meine Liebe, und für mich war es das Größte, sie herzugeben, zusammen mit dem Ehegelübde, dem Glauben an die Gebote, dem himmlischen Seelenheil und der weltlichen Ehre. Bereits nachdem er gegangen war, hatte ich mich gleichsam in einem Raum ohne Wände befunden, und heute stellte ich mit einem Mal fest, dass dieser schutzlose Raum von Abgründen umgeben war.
    Kara ist die Letzte, die mir geblieben ist, sieht man einmal von dem seit gut sechs Monaten in mir wachsenden Kind ab. Eine seltsame Vertauschung von Rollen: Die, die mir am nächsten sein sollten, sind mir fern, und die aus einem fernen, feindlichen Land stammende Frau ist mir eine Freundin geworden. Ich mochte sie sehr bald, nachdem ich sie kennenlernte, sie jedoch sträubte sich aus begreiflichen Gründen für lange Zeit. Sie war vorsichtig und misstrauisch, wie es wohl jeder in ihrer Lage wäre, aber auch sie erkannte, dass es zwischen uns eine Bindung gibt, die ich »geistige Verwandtschaft« nenne. Glücklicherweise taute Kara auf, je frostiger der Winter wurde. Sie ließ sich darauf ein, eine Stunde am Tag mit mir zu verbringen, so als wolle sie sehen, was geschieht. Ich brachte ihr Würfelspiele bei, und sie bedankte sich, indem sie Karten aus Lumpenpapier anfertigte, mit denen man sich ebenfalls die Langeweile vertreiben kann, die die kalte Jahreszeit mit sich bringt. Aus einer Stunde täglich wurden bald zwei Stunden, inzwischen sind ganze Nachmittage daraus geworden. Mir entgeht nicht, dass sie auch Zeit mit Baldur verbringt, worüber ich geflissentlich hinwegsehe und schweige. Immerhin habe auch ich einmal

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