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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Wachen, die vor meiner Tür stehen, traue ich nicht: Wes ’ Brot ich ess, des ’ Lied ich sing. Ob sie es selbst taten oder nur wegsahen, wenn ein anderer von Aistulfs Leuten in meinen Sachen wühlte, weiß ich nicht. Auf diese Weise verlor ich den alten Helm meines Vaters, den ich mir aus dem Geheimgemach mitgenommen hatte, die von meinem Vater geschnitzte Kette aus Holzperlen, die er mir zu meinem siebten Geburtstag schenkte, meine Schreibfeder und schließlich den kostbaren Ring des Königs, den ich unvorsichtigerweise ein paar Tage lang nicht am Finger trug. Dass so verschiedene Gegenstände verschwanden, kann nur eines bedeuten: Aistulf will mich entweder in den Wahnsinn oder aus der Burg treiben. Und heute ist er einen großen Schritt weitergekommen. Es verschwand – ich wage es kaum zu sagen – die Kassette mit dem Geschriebenen. Sie war im doppelten Boden einer Kleidertruhe versteckt, verschlossen zwar, und den Schlüssel trage ich stets bei mir, aber was kann eine kleine Kassette einem Burggrafen entgegensetzen? Aistulf hat sie schneller aufgebrochen, als ich husten kann. Ich wollte noch einmal lesen, was ich über Malvin und mich geschrieben habe, ich wollte etwas haben, an dem ich mich aufrichten konnte, und da bemerkte ich, dass die Kassette fehlte.
    Ich verstehe das nicht. Keiner wusste von dem Versteck, allenfalls eine von den drei F könnte vielleicht irgendwann den doppelten Boden bemerkt haben, und da sie neuerdings allesamt Aistulf und meiner Mutter dienen … Schrecklich. Wenn meine Befürchtung stimmt, befindet sich alles, was ich in den letzten Monaten seit dem Tod meines Vaters schrieb, in den Händen dieses Tyrannen. Er weiß von meinen Gesprächen mit Baldur, meinen geheimsten Gefühlen, meinen größten Erfahrungen, den Tagträumen und Erinnerungen. Er weiß, wie ich über meinen Gemahl denke, über meine Mutter. Er weiß von Malvin und mir. Er weiß, dass Malvin der Vater meines noch ungeborenen Kindes ist. Er kann jede einzelne Seite gegen mich verwenden – und gegen Malvin. Hat er die Papiere vielleicht schon zum Herzog geschickt, als Beweis meiner Untreue und von Malvins Fehlverhalten? Oder genügt es ihm, zu wissen, dass ich weiß, dass er es tun könnte? Letzteres passt gut zu ihm, da es sich dabei um die heimtückischere, nämlich erpresserische Möglichkeit handelt, mich loszuwerden. Er macht sich die Hände nicht schmutzig und kriegt trotzdem, was er will: meinen Verzicht auf alle Ansprüche. So denkt er sich das. Und meine Mutter tut wie üblich, als wüsste sie von nichts.
    Ich ging zu Baldur in die Scheune. Fürwahr kein leichter Gang.
    »Aistulf ist in den Besitz von etwas gelangt, das uns sehr schaden könnte«, gestand ich.
    Baldur lag unbeeindruckt auf einer Lage Stroh und schnitzte weiter an einem Pfeil. Wenn er nicht gerade Ausflüge in den Winterwald macht, tut er seit Monaten den lieben langen Tag nichts anderes. Er hat schon genug Pfeile, um ein Heer damit auszurüsten, nur leider fehlen ihm dazu die Metallspitzen und das Heer.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte ich.
    »Ich bin ja nicht taub.«
    »Es handelt sich um … Papiere. Um … Aufzeichnungen. Um mir meine Wut und Trauer und die Bedrückungen von der Seele zu schreiben, eine Art Anklage gegen die, die gegen uns sind, verstehst du?«
    »Ich bin ja nicht blöd.«
    »Wenn du weder taub noch blöd bist, müsste an dieser Stelle eine Unterhaltung zwischen uns einsetzen.«
    »Du möchtest dich mit mir unterhalten? Das ist neu. Also bitte, was hat es mit den abhandengekommenen Papieren auf sich?«
    »Abhandengekommen, das hört sich an, als hätte ich sie verlegt. Sie sind mir gestohlen worden, und zwar von Aistulf – jedenfalls wüsste ich nicht, von wem sonst. Mit diesen Aufzeichnungen könnte er mich erpressen und damit auch dich.«
    »Du warst so unvorsichtig, Heikles niederzuschreiben?«
    »Aus diesem Grund führt man ein Zwiegespräch mit sich selbst. Wenn es nicht heikel wäre, könnte ich es ebenso gut den Wäscherinnen erzählen.«
    »Du hättest es einfach für dich behalten sollen.«
    »Ich weigere mich, darüber mit jemandem zu streiten, der Schrift für etwas hält, gegen das die Ärzte bis zum heutigen Tag noch kein Heilmittel gefunden haben.«
    »Wer verhindert jetzt die Unterhaltung, du oder ich?«
    Die Monate in der Scheune hatten Baldur zu so etwas wie einem Philosophen gemacht – innerhalb seiner Möglichkeiten, versteht sich. Da er so funktionslos war wie die Pfeile, die er

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