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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Gefallen an Baldur gefunden, und da es – wie ich mehrfach sagte – diese geistige Verwandtschaft zwischen Kara und mir gibt, ist es nur folgerichtig, dass auch sie sich von irgendetwas an Baldur angezogen fühlt. Was Baldur angeht: Es ist nicht schwer, Kara reizvoll zu finden. Auch mein Vater erlag ihrer Schönheit und ging sogar so weit, sie deswegen zu entführen wie Paris einst Helena.
    Ihr Gesicht tauchte plötzlich neben dem meinen im Spiegel auf.
    »Kara. Heilige Mutter Gottes, hast du mich erschreckt. Ich habe dich nicht kommen hören, und ich dachte, ich hätte die Tür verriegelt.«
    »Habt Ihr auch. Ich war schon hier, bevor Ihr kamt. Ich saß dort drüben auf dem Schemel in der dunklen Ecke und habe auf Euch gewartet.«
    »Und die Wachen haben dich hereingelassen?«
    »Sie wissen, dass ich die künftige Amme Eures Kindes bin. War es falsch, hier auf Euch zu warten?«
    »Nein, nein, es ist nur … Ich fühle mich von diesen Wachen inzwischen mehr bedroht als beschützt. Sie tun nicht, was ich befehle, lassen auf Gutdünken bei mir eintreten, wen sie wollen … Sie gehorchen Aistulf, meinem Feind – übrigens auch deinem. Nein, Kara, es war nicht falsch von dir, auf mich zu warten. Ich freue mich, dass du da bist. Im Grunde genommen war mir deine Anwesenheit noch nie so lieb wie jetzt.«
    Kara verstand, dass mir diesmal mit Kartenspielen nicht geholfen war, und steckte die Karten weg. Meine Niedergeschlagenheit wuchs sich zur Hoffnungslosigkeit aus, und ich begann von besseren Tagen zu erzählen, so wie die Alten gerne jene Zeiten heraufbeschwören, in denen sie jung und leichtsinnig waren. Ich sah mich mit Garet, Gerbert und Gerald im Ringelreih um meinen Vater tanzen; ich sah mich Kiesel in eine fünf Schritte entfernt stehende Tonschale werfen, wobei mein Vater mir jedes Mal, wenn ich traf, zulächelte; ich sah den weit aufgerissenen Mund, wenn er lachte; ich sah seine Hände, wie sie mir geschickt zeigten, einen Zügel zu halten; ich sah die Tränen in seinen Augen bei meiner Hochzeit mit Baldur. Ich sah tausend Dinge.
    Als ich fertig war, hatte sich die Dämmerung in die Kemenate gesenkt, und Karas und mein Gesicht waren zwei fast gleich aussehende Konturen nebeneinander im Spiegel.
    »Ich weiß«, sagte ich zu Kara und wischte mir die Tränen von den Wangen, »dass mein Vater dich geraubt hat und dass er dich gegen deinen Willen lieben wollte. Er hätte die Liebe nicht bei Fremden, sondern hier in der Burg suchen sollen. Was er vorhatte, war schlecht und falsch. Es ist deine Pflicht, ihn zu hassen und zu verabscheuen, so wie es meine Pflicht ist, ihn zu lieben für alles, was er für mich getan hat.«
    Ich nahm ihre Hand und streichelte sie, bevor ich aufstand und die Öllampen entzündete. In der Kemenate war es kühl geworden, die Feuer waren längst erloschen. Ich schichtete neues Holz auf, wobei Kara mir half.
    Obwohl sie stets ausgewichen war, wenn ich sie nach ihrer Familie gefragt hatte, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen: »Was ist mit deinen Eltern? Habt ihr euch verstanden?«
    Ich hatte bis dahin nur erfahren, dass sie einen Mann und drei Kinder hat, woraufhin ich ihr versprochen hatte, dass sie zu ihnen zurückkehren dürfte, sobald ich Gräfin werden würde. Allerdings hatte ich ihr wenig Hoffnung gemacht, dass das in naher Zukunft der Fall wäre.
    »Mit meiner Mutter habe ich mich verstanden. Sie war sanft, ich habe nie ein Wort der Klage über ihre Lippen kommen hören.«
    »Und dein Vater?«
    »Versprecht Ihr mir, für Euch zu behalten, was ich Euch anvertraue?«
    »Kara, du beleidigst mich.«
    »Verzeiht. Mein Vater war der Anführer meines Stammes, einer von sieben Fürsten, aus deren Reihen der König des Volkes gewählt wird.«
    »So bist auch du von Adel?«
    »Gewissermaßen.«
    »Hat mein Vater das gewusst?«
    »Nein, keiner von Euren Leuten hat es gewusst. Und so soll es auch bleiben.«
    »Du wärst anders behandelt worden, wenn man es gewusst hätte.«
    »Ja, schlechter. Man hätte mich als Faustpfand benutzt. Vielleicht wäre ich besser behandelt worden, wenn ich eine Christin wäre, doch so … In den Augen Eurer Fürsten gelten unsere Fürsten wenig und ihre Kinder noch weniger.«
    »Ich fürchte, du hast recht. Aber sag: Was für ein Mensch war dein Vater?«
    Kara warf zwei Scheite auf einmal in die kümmerlichen Flammen.
    »Er hat mich geringgeschätzt. Fast nie hat er das Wort an mich gerichtet, und ich durfte ihn nicht ansprechen, bevor er es tat. Das hat mich

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