Die Suendenburg
unserer Sprachlosigkeit nicht mehr unterschieden. Er verharrte aufmerksam und – was mir besonders gefiel – düster dreinblickend vor seinem Zuhause.
Händler und Gesinde, die uns entgegenkamen oder uns überholten und die mich erkannten, begrüßte ich mit einem Kopfnicken. Da ich mich in Begleitung eines »Mönchs« befand, drängte mir niemand ein Gespräch auf. Ich nehme an, sie alle gingen davon aus, dass es sich um einen geistlichen Beistand für die kranke Gräfin handelte, den ich ihr brachte, und wollten uns nicht aufhalten.
Als ich den Augenblick für geeignet hielt, gab ich Orendel mit pathetischen Gesten zu verstehen, dass dies alles sein Recht und Eigentum ist, das ihm vorenthalten worden war, als seine Mutter ihren Buhlen geheiratet und zum Graf gemacht hatte.
»Und du glaubst wirklich, Mutter und ihr Buhle haben Vater getötet?«
Ich nickte.
Er wirkte betroffen und empört, aber ich hatte ihn noch immer nicht ganz dort, wo ich ihn haben wollte. Seit Jahren hatte ich sein Wesen wie eine Lehmmasse geknetet, um es in die gewünschte Form zu bringen, und den Winter über hatte ich meine Bemühungen noch verstärkt. Nicht ohne Erfolg. Orendel war längst nicht mehr der fröhliche, zart besaitete, singende, schreibende, die Leute verzaubernde Knabe. Mit seinem Aussehen und seiner Stimme hätte er Frauenherzen höher schlagen lassen können, doch sein Wesen war verdunkelt worden, und die musischen Anwandlungen hatten sich in verschlossene Nachdenklichkeit verwandelt. Er war fast immer ernst und steif und ein wenig ahnungsvoll, so als sitze ihm eine Eule auf der Schulter, die ihn an sein Schicksal gemahnte. Ich fütterte diese Eule während der letzten Monate. Immer wieder, wenn Orendel und ich am Feuer saßen, steckte ich ihm kurze Briefe zu, in denen ich klagte und jammerte und schimpfte.
Ach, Orendel, wenn du ihn gesehen hättest, deinen alten Vater im heißen Bade, grau und blutentleert, geschlitzt von der, der er vertraut hat … Welch schrecklicher Atemzug muss das gewesen sein, als er erkannte, dass es sein letzter Atemzug war und dass das eigene Weib ihn verriet.
Dazu muss ich sagen, dass ich ihm nie von dem ungarischen Aas erzählt habe. Ich habe Agapets Tod so dargestellt, als ob praktisch nur die Gräfin oder der ins Bad eindringende Buhle die Tat begangen haben könnten.
Am Abend, bevor wir zur Burg gingen, schrieb ich Orendel:
Ist es nicht ein seltsamer, vom Schicksal gefügter Zufall, dass nun die treueste aller Dienerinnen deiner Eltern Blut spuckt? Es ist, als folge ich deinem verbluteten Vater nach und als klage ich zugleich mit diesem meinem Blut die Mörderin an, der ich zu lange die Treue hielt.
Solche Sätze verfehlten ihre Wirkung nicht, sie trafen genau den schicksalsträchtigen Ton, mit dem man Orendel am besten erreichte. Gelegentlich – wie beim Weg den Berg hinauf zur Burg – schimmerte noch sein altes Wesen durch, wenn er beispielsweise die Natur bewunderte, aber selbst dann wob sich die Wut über seine jahrelange Gefangenschaft, das ihm Entgangene und die Vorahnung von Vergänglichkeit in seine Bewunderung hinein, so als sei er um seine Vergangenheit und Zukunft bestohlen worden. Er dachte nicht an das Morgen, und er lebte dank meiner Bemühungen in einer Gegenwart, in der er sich verloren fühlte.
Trotz allem, das spürte ich, war er noch nicht so weit, bis zum Letzten zu gehen: seine Mutter zu töten.
Noch während ich überlegte, was ich tun könnte, um seinen Hass weiter zu schüren, näherte sich aus dem nahen Wald ein Reiter. Ich bemerkte ihn spät. Es war Baldur. Hinter ihm, an seine Hüfte gekrallt, saß das ungarische Aas.
Orendel erkannte seinen Schwager, der vor sieben Jahren noch ein einfacher Gefolgsmann seines Vaters gewesen war, und ich gab ihm ein Zeichen, dass er den Kopf senken und schweigen sollte.
»Bilhildis, du hier? Ich glaubte, du hast uns verlassen, so wie alle anderen. Elicia wird sich freuen, dich zu sehen.« Sein Blick fiel auf den »Mönch« neben mir. »Oder kommst du nicht ihretwegen?«
Ich deutete an, dass ich auch ihretwegen zurückgekehrt sei.
»Das ist gut. Sie hat niemanden mehr, weißt du das? Ihre Zofen wurden ihr genommen, sie verrichtet alle Arbeiten selbst, sogar das Holz trägt sie allein, und das, wo sie doch ein Kind erwartet. Kara hilft ihr ein bisschen. Ich kann ihr nicht helfen, ich bin noch immer aus der Burg ausgesperrt und hause in der Scheune. Das niederste Gesinde ist besser untergebracht als ich. So weit ist
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