Die Suendenburg
seinem Leben für das von Orendel einzustehen, doch ich lehnte sein Angebot ab. Es herrscht keine Waffengleichheit zwischen ihm und Baldur, da ich Baldur alles zutraue und Aistulf ein viel zu guter Mensch ist, um mit Baldur so umzuspringen, wie Agapet es getan hätte. Wäre Agapet seinerzeit von einem Rivalen bedroht worden, hätte er ihn längst von einem gedungenen Mörder aufschlitzen lassen und damit für klare Verhältnisse gesorgt. Aistulfs Gewissen und seine Leitbilder lassen dies nicht zu. Was Aistulfs größte Stärke ist und wofür ich ihn doppelt liebe, ist zugleich seine größte Schwäche. Ich will, dass er lebt, lange über meinen Tod hinaus, und dass er die Welt ein wenig zum Besseren verändert.
Genau dies sagte ich ihm. Als ich von meinem Tod sprach, standen ihm die Tränen in den Augen, und er versprach mir, ohne dass ich es verlangt hätte, Orendel an Kindes statt anzunehmen und zu seinem Erben zu bestimmen, sobald Aistulfs Bestätigung als Graf erfolgt ist. Ich dankte ihm und weinte gemeinsam mit ihm.
Ich spüre, wie sich die Kälte meinem Herz nähert. Es ist Zeit, nach dem Beichtvater zu schicken.
Um ein Letztes habe ich Aistulf noch zu bitten: Bilhildis soll aus der Leibeigenschaft befreit und mit einem Auskommen bedacht werden, selbstverständlich gilt für ihren Mann Raimund dasselbe. Es gibt wohl niemanden, den ich länger kenne als Bilhildis. Sie war schon da, als ich noch ein Kind war. Durch die zehn Jahre, die sie mir voraus hatte, war sie trotz ihrer einfachen Herkunft und ihres geringen Status als Dienerin im Hause meiner Eltern für mich eine schwesterliche Vertraute gewesen, weit mehr als meine wirklichen Schwestern es waren. Ihre schlichte Vernunft war mir Wegweiserin durch die Kindheit, und ihre derbe Offenheit hat dafür gesorgt, dass ich zeitlebens Ränkespiele und Getuschel verabscheut habe. Dank Bilhildis habe ich mir nie über Gebühr viel auf Titel und Vermögen eingebildet, und dass sie durch meine strikte Ablehnung einer Ehe, die mir aufgezwungen werden sollte, verstümmelt wurde, war mir stete Mahnung, den Ausgleich und den Frieden zu suchen. Um wiedergutzumachen, was sie durch mein Zutun erlitt, hatte ich meine Eltern seinerzeit gebeten, Bilhildis in mein neues Zuhause auf dieser Burg mitnehmen zu dürfen, da Bilhildis dort, woher wir kamen, Ziel des Spotts vieler Kinder und auch Erwachsener gewesen war, die sich über die Verstümmelte lustig machten. Hier in der Burg stand sie unter meinem Schutz. Wer es gewagt hätte, sie zu verspotten, hätte meinen Groll auf sich gezogen, und jeder wusste das. Sie bekam einfache Aufgaben, so leicht wie sie hatte es keine Dienerin. Ich hätte Bilhildis schon viel früher freigelassen, doch sie gehörte den Gesetzen der Ehe nach meinem Gemahl Agapet, und er verweigerte mir meine Bitte. Eine Zeit lang beharrte ich auf ihre Entknechtung, bis ich eines Tages zufällig erkannte, dass Agapet und sie eine Liebschaft unterhielten und sogar ein Geheimgemach ihr Eigen nannten. Ich verübelte dies weder Agapet noch Bilhildis, da ich Agapet nie geliebt habe und Bilhildis nur das Beste wünschte. Sie blieb meine Vertraute, kümmerte sich um Orendel, und ich rechne es ihr bis heute hoch an, dass es ihr gelang, mir eine Freundin und Agapet eine Geliebte zu bleiben. Nie verriet sie mich noch Agapet oder schlug Kapital aus der Nähe zu mir und zu meinem Mann. Ihre drei Söhne – womöglich Agapets Söhne? – wurden zu Stützen auf Agapets Feldzügen und gaben ihr Leben für ihn. Ich war froh, als die Liebschaft der beiden sich über viele Jahre und meines Wissens bis zum Tag von Agapets Rückkehr im letzten Sommer fortsetzte. Da brachte Agapet die Ungarin mit … Ich war nicht um meinetwillen, sondern für Bilhildis voller Trauer und Wut. Das hatte die Ärmste nicht verdient.
Es soll ihr nun an nichts mangeln.
So beende ich nun, was ich angefangen habe, und überantworte mich einer höheren Gerechtigkeit. Meine Gedanken werden in den letzten Stunden Aistulf gelten, der mich wie kein anderer gekannt hat, sowie Orendel, der mich viel zu kurz gekannt hat, und schließlich dem kleinen Richard, der mich nie kennen wird.
Doch das letzte liebende Wort auf meinen Lippen wird lauten: Elicia.
Bilhildis
Gestern war es, da habe ich gehört, dass die Gräfin nach der Geburt eines Knaben sehr krank wurde und bald sterben könnte. Im Winter hört man ja nichts im Tal. Die Burg ist da so weit entfernt wie der Himmel, und was im Garten Eden vorgeht, kriegt
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