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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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man ja auch nicht mit. Aber kaum ziehen Schnee und Frost sich zurück, kommen die Leute aus ihren Häusern. Wie die Ameisen wuseln sie umeinander herum, schnüffeln in alle fremden Stuben auf der Suche nach Stoff für Geschwätz und tauschen ihre Funde anschließend aus: Der alte Gernot ist tot, beim Holzhacken einfach so umgefallen, man stelle sich das vor; das Jüngste von der Heu-Berta ist verreckt, und zwar an ihrer Brust, ist doch furchtbar; die Schafs-Marie soll ein Kind bekommen haben, wo sie doch gar keinen Mann hat, aber ihr Vater, der Schafs-Gunter, hat ’ s vergraben, Gott stehe ihm bei. Ich dachte, als ich mir dieses Gewäsch anhörte: Gott stehe mir bei. Innerhalb einer Stunde habe ich vierzehn Tote oder Vermisste aufgetischt bekommen, die ich nicht kannte, und zwar von zwei Weibern, die ich nicht kannte, und in jenem berüchtigten Tonfall, der sich nur wenig Mühe macht, Entsetzen vorzuspiegeln, wo tatsächlich die Lust am Entsetzen waltet. Ein Winter ohne beim Holzhacken Verreckte, an der Brust Verhungerte und heimlich Vergrabene wäre für diese Weiber kein richtiger Winter, und das Tragikomische daran ist, dass auch diese Weiber eines Tages bei irgendetwas verrecken und den Dung für das Geschwätz Dutzender anderer Weiber abgeben werden. Sie hätten mir gewiss auch noch den fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten Toten um die Ohren gehauen, aber irgendwann warf ich sie unsanft aus dem Haus. Es war mir ohnehin nicht recht, dass sie bei mir herumschnüffelten und Fragen stellten, und den an fremde Tote verschenkten Nachmittag, den sie mir bescherten, nahm ich ihnen ebenfalls übel. Den eigentlichen Anlass für den Rauswurf lieferten sie mir jedoch mit der Nachricht, dass die Gräfin so schwach sei, dass sie ihr Gemach nicht mehr verlasse. Sie läge darnieder und stehe nur noch selten auf. Dies versaute mir den ohnehin versauten Nachmittag zusätzlich.
    Ich habe mir seit langer Zeit gewünscht, der Tag möge kommen, an dem ich die Gräfin ins Grab sinken sehen würde. Doch bitte nicht so. Der Tod ist keine Strafe für sie, die dem Himmelreich mit offenen Armen entgegentreten und mit ebensolchen offenen Armen empfangen wird. Gott hat keinen Sinn für Gerechtigkeit. Er bestraft jene, die mit dem Teufel gekämpft, jedoch verloren haben, und er begünstigt solche, die gedankenlos durchs Leben gegangen sind, sich am Ende eine Ölung verpassen lassen und in Reue verfallen. Ich sehe die Gräfin, ja, ich habe sie in diesem Moment vor Augen, wie sie in ihrem Bette liegt und betet: Herr, es tut mir so leid, dass die arme Bilhildis meinetwegen verstümmelt wurde, ich hatte keine Ahnung, was ich anrichte, und ich habe sie nur deshalb all die Jahre als Leibeigene behalten, weil ich es gut gemeint habe, doch sollte ich gefehlt haben, so vergebe mir.
    Und er wird es tun. Er wäre ja auch blöd, ihr nicht zu vergeben, denn dann verlöre er sie an die Hölle. Gott und Teufel sind nämlich zwei Freunde, die eine Wette gemacht haben, wer von ihnen in zehntausend Jahren mehr Seelen gewinnt. Sobald die zehntausend Jahre vorüber sind, gehen sie gemeinsam ins Wirtshaus und leeren ein Fass Wein auf Kosten des Verlierers. Worin wohl ihre nächste Wette bestehen wird?
    Ha, das gefällt mir! Wenn ich das dem glatzköpfigen Geistlichen Nikolaus zustecke, sobald ich auf dem Totenbett liege, trifft ihn der Schlag.
    Ich rotze inzwischen täglich Blut. Die Anfälle kommen ganz plötzlich. Ich stehe irgendwo, und ohne Vorwarnung quillt mir das Blut in den Schlund, von dort in den Mund und ins Freie, ganz so, als hätte ich zu viel davon. Meine Krankheit lässt sich nicht mehr verleugnen. Die letzten Schneereste und der Schlamm rund um den Hof herum sind rot gefärbt, man könnte meinen, der Schlachter tat sein Werk. Gestern Abend kam Orendel zu mir und fragte: »Nicht wahr, du musst bald sterben?« Ich antwortete auf einem Zettel: Ja, und deswegen müssen wir noch etwas Dringendes erledigen.
    Ich zog Orendel eine von Norbert besorgte Mönchskutte an, die ihm ein wenig zu groß war, was den Vorteil hatte, dass sein Gesicht unter der weiten Kapuze verborgen blieb. Dann machten wir uns auf den Weg hinauf zur Burg. Orendel, der seit vielen Jahren seinen ersten Frühling in Freiheit erlebte, begeisterte sich für knospende Aprilblumen, laue Brisen und die Aussicht auf ein lindgrünes Flusstal. Je näher wir jedoch der Burg seines Schicksals kamen, desto stiller wurde er, bis wir uns, nur einen Steinwurf von der Außenmauer entfernt, in

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