Die Suendenburg
von dem Schmalz, das Baldur bisher nur in seinen Muskeln hatte, war ihm in den Kopf gerutscht, vielleicht bei den nächtlichen Übungen mit dem ungarischen Aas. Doch seine Idee hatte einen bedeutenden Fehler: Als Leibeigene galt mein Zeugnis vor Gericht nichts.
»Falls du jetzt daran denkst, dass dein Zeugnis vor Gericht nicht anerkannt würde, so darf ich dir sagen, dass mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind, wonach Aistulf und die Gräfin dich in Kürze aus der Leibeigenschaft entlassen werden. Und damit du mit deiner Freiheit etwas anfangen kannst, dachte ich daran, dir und Raimund ein Gut zu kaufen, sobald ich Graf bin. Dazu ein wenig Land mit leibeigenen Pächtern, vielleicht ein kleiner Wald zur Jagd … Ihr würdet auf eure alten Tage herrschaftlich leben.«
Es wäre nicht nötig gewesen, mich mit Eigentum zu locken, da die Rache mein Lohn war, und einer Sterbenden bedeuten diese Dinge ohnehin nichts. Aber sollte Baldur ruhig glauben, ich helfe ihm aus Habgier. Die Sache wurde beschlossen, die Dinge entwickelten sich.
Als ich aus der Scheune trat, stand Orendel andächtig an die Wand gelehnt. Ich folgte seinem Blick die Burgmauer hinauf. Dort stand Elicia, in die Ferne blickend.
»So habe ich sie nicht in Erinnerung«, sagte Orendel traurig. »Sie wirkt einsam und irgendwie vernachlässigt. Sieh dir ihr Kleid an, ihre Haare, ihre Haltung. Als ich klein war, habe ich mir immer gewünscht, sie eines Tages zu beschützen. Ich wusste nicht, wovor, vor Räubern vielleicht. Ich wollte für sie da sein, ich wollte ihr Held und Befreier sein.« Orendel sah mich an. »Ich muss etwas tun, Bilhildis.«
Ja, da waren sie endlich, die Augen, die ich brauchte, da war die Entschlossenheit und der Zorn … Orendel hatte die Mutter aus seinem Herzen gestoßen.
Ich quartierte Orendel vorläufig in einem einfachen Gemach neben dem meinen ein. Es würde nicht weiter auffallen, wenn er ein paar Tage in der Burg blieb, da wir schon des Öfteren reisenden Mönchen Obdach gewährt hatten. Ich ermahnte ihn, das Gemach nicht zu verlassen, außer zum Gebet in der Kapelle. Unter seiner Kapuze würde ihn keiner erkennen, nicht einmal Elicia, und zudem hatte er sich in den sieben Jahren verändert. Was Aistulf betraf, so kannte er einen anderen Orendel, er hatte den wahren noch nie zu Gesicht bekommen. Die Einzige, die ihn erkannt hätte, wäre die Gräfin gewesen, doch sie lag krank zu Bett. Beste Bedingungen.
Ich suchte sie auf. Sie sah wahrlich schlecht aus. Ihre Lippen waren grau, die Haut fahl, die Lider halb geschlossen. Als sie mich erblickte, lächelte sie und streckte die Hand nach mir aus.
»Bilhildis! Wie schön, dich zu sehen. Allzu lange habe ich deine Gegenwart entbehrt. Komm, lege deinen Mantel ab und setze dich zu mir.«
Die drei rothaarigen Heulsusen waren um sie herum und pflegten sie und den Säugling. Als Ferhild mir den Umhang abnahm, flüsterte sie: »Vorgestern hätte ich keinen Deut darauf gegeben, dass die Ärmste es schafft.« Frida ergänzte: »Aber seither geht es ihr besser, gelobt sei der Herr.« Und Franka meinte: »Wenn kein böses Geschick dazwischenfährt« – sie rotzte dreimal zu Boden –, »ist sie in zwei Wochen wieder auf den Beinen.«
Das böse Geschick nahm trotz der Rotzerei auf einem Schemel neben dem Bett der Kranken Platz. Claire schickte die drei rothaarigen Heulsusen aus dem Gemach und fragte: »Ich platze vor Neugier. Was hast du mir von Orendel zu berichten? Hat er den Winter gut überstanden?«
Ich beruhigte sie und nickte nach jeder Frage, die sie mir stellte, und es waren deren hundert, so wie üblich, wenn es um Orendel ging.
»Aistulf und ich haben beschlossen, noch zu warten, bis wir ihn auf die Burg holen. Die allgemeine Stimmung spricht dagegen. Ihn all dieser Feindschaft auszusetzen wäre verantwortungslos, zumal Orendel feinfühliger ist als viele andere junge Männer seines Alters. Stimmst du mir zu, Bilhildis?«
Ich stimmte zu. Wir unterhielten uns noch eine Weile über Orendel, bis die Gräfin auf den Tisch deutete, an dem sie ihre Briefe verfasste. »Bitte bringe mir die Schriftrolle ganz links. Ja, genau diese. Sie betrifft dich. Bitte öffne sie.«
Ich entrollte das Dokument.
Wir, Aistulf, Herr und Graf von Breisach, und Claire von Langres, Gräfin von Breisach, erklären unsere Leibeigenen Raimund, geboren zu Sasbach, und Bilhildis, geboren zu Chatillons, für aus der Leibeigenschaft entlassen. Sie sind nun freie Untertanen der erlauchten Grafen von Breisach,
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