Die Suendenburg
miteinander bekannt machen konnten.
Dem nimmermüden umherflatternden Schmetterling hatten sich zwei weitere Schmetterlinge angeschlossen, die unserer ernsten und traurigen Unterredung eine absonderliche Note verliehen.
Ich griff in den Beutel, den ich mitgebracht hatte, und zog nacheinander das schmutzige, blutige Nachthemd, den Dolch, den Ring, den Schlüssel, den Helm, die Holzperlenkette und die Kassette mit Elicias Aufzeichnungen hervor. All das wog schwer. Ich sagte: »Alles das habe ich im Wald am Fuß der Steilfelsen gefunden, direkt unterhalb von Elicias Kemenate.«
Sie schloss halb die Lider und blickte zu Boden.
»Ich bin mir sicher, dass Ihr mir zu alledem etwas sagen könnt, Gräfin.«
»Ihr irrt Euch. Ich weiß nicht, wieso Ihr damit zu mir …«
»Keine weiteren Versteckspiele mehr, Gräfin«, sagte ich barsch. Doch mein Ärger, der im Grunde nur Ungeduld war, verflog rasch und wandelte sich von einem Atemzug zum nächsten in Verzweiflung. Ich ließ mich auf einem Schemel nieder, stützte den Kopf in die Hände, rieb mir die Augen und wandte mich schließlich wieder der Gräfin zu.
»Ich liebe Elicia. Wir haben uns im letzten Herbst gefunden, und das Kind, das sie trägt, ist von mir. Ich bin also nicht als Vikar zu Euch gekommen.«
Ich weiß nicht, welche von diesen Feststellungen sie am meisten überraschte. Wir sahen uns an, und ich wusste, dass sie verstand. Wir wurden uns einig, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Sie stand auf und ging mit bedrückter Miene im Raum umher, in dem die Schmetterlinge tanzten.
»Es gab keine Zeit in Elicias Leben, in der sie nicht die Nähe ihres Vaters gesucht und die meine nur hingenommen hätte. Ich bemühte mich um sie, aber ohne großen Erfolg. Was ich sagte oder tat, war nicht halb so viel wert wie das, was Agapet sagte und tat. Meine Situation war vergleichbar mit der eines wenig beeindruckenden Brautwerbers, der sich noch so anstrengen und doch nie gegen den schmucken Rivalen bestehen konnte. Was immer Elicia Gutes widerfuhr, schrieb sie Agapets Einfluss zu, und was ihr Schlechtes widerfuhr, hatte selbstverständlich mit mir zu tun. So erinnere ich mich, dass Agapet nicht wollte, dass sie mit Bilhildis ’ Söhnen spielte, und er trug mir auf, es ihr zu verbieten. Sie schrieb das Verbot mir zu, obgleich ich ihr erklärte, von wem es ausging. Ein anderes Mal schrieb sie Agapet einen lieben Satz auf, und zwar in der allerschönsten Schrift, die ich ihr beigebracht hatte, und er – der nicht lesen konnte – zerknüllte das Papier und warf es ins Feuer, was sie jedoch mir zum Vorwurf machte, weil ich sie angeblich einen minderwertigen Schreibstil gelehrt hatte. Das sind nur zwei von zahllosen anderen Beispielen.
Es wäre alles anders gekommen und wir würden heute nicht hier stehen, wenn Agapet ihr die Liebe und Anerkennung gegeben hätte, nach der sie gierte. Doch er hatte nicht viel für seine Tochter übrig, weder Zeit noch Zuneigung. Er verzieh weder mir noch ihr, dass Elicia ein robustes, wildes, lebenshungriges und äußerst kluges Kind war, während sein Sohn unter einer zarten Gesundheit litt und ein noch zarteres Gemüt hatte.
Elicia hat natürlich bemerkt, wie ihr Vater zu ihr stand, aber sie hat – wie sage ich es bloß – sie hat sich irgendwie darüber hinweggetröstet, indem sie sich das Gegenteil einredete. Anfangs habe ich das nicht bemerkt. Später bemerkte ich es, nahm es jedoch nicht ernst. Ich sagte mir: Das tut sie aus Trotz, um mir gegenüber nicht eingestehen zu müssen, dass ich es besser mit ihr meine als ihr Vater. Aber je älter sie wurde, desto verzerrter wurde das Bild, das sie sich von Agapet machte. Sie betete ihn an, und sie schrieb ihm Eigenschaften zu, die selbst ein wohlwollender Freund ihm nicht zugebilligt hätte. Einer Holzperlenkette, die er ihr zum siebten Geburtstag geschenkt hatte, wurde ihre geradezu reliquienhafte Verehrung zuteil. So betrüblich ich das fand, so wenig erkannte ich das ganze Ausmaß von Elicias Selbsttäuschung. Bis sie ungefähr fünfzehn Jahre alt war. Es war die Zeit, als ich Orendel entführen ließ, und zufällig auch die Zeit, in der Elicias Körper aufzublühen begann.«
Die Gräfin verharrte einen Augenblick, dann fuhr sie fort:
»Bis dahin hatte sie sich nur bezüglich Agapets Charakters etwas vorgemacht sowie über seine väterlichen Gefühle für sie. Wir alle sind von Zeit zu Zeit geneigt, uns etwas vorzumachen, und wenngleich Elicia darin zur Meisterin wurde, so war der
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