Die Suendenburg
auf einem weiten, nebelverhangenen Feld, und keiner weiß, wie es aussieht. Vielleicht sind wir daran vorbeigelaufen.
Ich bin der Burg endgültig überdrüssig. Ich will gemeinsam mit Aistulf diesem Ort entfliehen, an dem die Liebe und der Tod blühen und die Wahrheit und die Hoffnung welken. Hier war ich nie zu Hause, und doch ließ ich mich hier nieder. Ich stelle mich dem, was …
Kara
Ich hatte einen Traum.
Ich stehe im Burghof. Dort herrscht großer Trubel, denn Agapets Rückkehr vom Feldzug hat die Leute zusammenströmen lassen. Hochrufe allenthalben. Agapet sitzt zu Ross, mit gereckter Faust, und lässt sich feiern. Seltsam, ich gönne ihm diesen Triumph. Ich, die Gefangene, Besiegte, empfinde Genugtuung über seinen Sieg. Ich spreche ihn an. Ich sage irgendetwas zu ihm, doch er würdigt mich kaum eines Blickes. Er geht zu Elicia, umarmt sie und lacht. Später auf dem Fest gehe ich noch einmal zu ihm, als die Gräfin sich in ihre Gemächer zurückgezogen hat. Ich will, dass er mich umarmt, mir etwas Nettes sagt, dafür habe ich ein schönes Gewand angezogen – woher ich dieses Gewand hatte, weiß ich nicht. Ein Barde spielt auf. Agapet tanzt mit mir, doch nur für eine kurze Weile. Dann erscheint Elicia, und er verlässt mich für sie. Ich stehe fortan abseits, rücke dem Geschehen fern. Zofen kleiden mich aus. Dann weiß ich nichts mehr … Ich bin in einem kleinen, engen Raum, bedrückend wie ein Grab. Es ist dunkel. Es wird noch dunkler … Es ist Nacht … Es dampft … Ich bin plötzlich im Bad, im Wasser. Mir wird warm. Da ist Agapet. Ich hebe den Arm, mache eine entschiedene Bewegung. Da ist Blut, Blut, überall Blut.
Was für ein eigenartiger Traum. Ich war bei Agapets Einzug in die Burg dabei, aber ich erinnere mich nicht, derartige Gefühle gehegt zu haben. Ich war auch auf dem Fest, ohne jedoch mit Agapet zu tanzen. Seine Nähe war mir zuwider, er war ein grauenhafter Mann, und doch habe ich ihn nicht getötet.
Das Ende meiner Geschichte ist gekommen. Ich darf diesen Ort nun verlassen, an dem ich einen Herbst und einen Winter lang gehasst, geliebt und gelitten habe. Acht Monate lang – ich habe die Tage mit Strichen gezählt – war ich in einer anderen Welt gefangen. Gefangen wie in einem Traum.
So nehme ich Abschied von euch, ihr Steine, die ihr euch an mich erinnern sollt. So nehme ich Abschied von euch allen, die ihr nun meine Geschichte kennt.
Ich gehe dem Morgen entgegen.
Malvin
Bereits als ich in die Nähe der gräflichen Gemächer kam, fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte. Der Trakt war fast menschenleer, ich sah keine Wachen, und das trotz meiner Warnung. Eine einzige Magd kreuzte meinen Weg.
»Du«, fragte ich, woraufhin sie zusammenzuckte, »hast du einen Mönch gesehen?«
Sie schüttelte nur den Kopf.
»Warst du bei der Gräfin?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Beim Grafen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Hast du einen von beiden gesehen?«
Sie wusste nichts und war froh, als sie weitergehen durfte. Bilhildis ’ plötzlicher Tod hatte sich mittlerweile herumgesprochen, und die Leute ängstigten sich, sofern sie nicht schon vorher verängstigt gewesen waren. Ein Ankläger nach dem anderen starb, zuerst Baldur, nun die stumme Alte. Das fiel zuvorderst auf Aistulf zurück, dann auf die Gräfin, letztendlich aber auch auf mich, der ich weder Recht noch Schutz brachte, sondern nur Unglück. Ich war in den Augen der einfachen Leute Teil des Fluches geworden. Manchmal, so denke ich, besitzen die einfachen Leute mehr Klugheit, als wir Edlen und Amtsträger wahrhaben wollen, denn sie lagen, was mich und Aistulf anging, gar nicht so falsch. Wir waren tatsächlich Verfluchte.
Vor der Tür der Gräfin angekommen, hob ich die Hand, um anzuklopfen, aber im letzten Augenblick hielt ich inne. Ich weiß nicht genau, warum. Es war nur eine unbestimmte Ahnung, die mich zögern ließ. Diese Stille, diese Leere, die vergangenen Tage, all das Blut, all die Toten, die besudelten Gewänder, die Schriften, die Ränke und Verletzungen, die verbrecherischen Taten und Gedanken, all das Gift in uns und um uns herum … Es konnte noch nicht vorbei sein. Es würde eine Reinigung stattfinden, ein göttliches Femegericht, und eine schreckliche Katastrophe würde uns alle und vielleicht die ganze Burg treffen. Was sich in Monaten und Jahren angestaut hatte, würde sich bis zum Letzten entladen. Es musste so kommen.
Gut möglich, dass ich nur so dachte, weil ich noch unter dem Eindruck dessen stand,
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