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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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der andere deutete auf einen Ort südlich von uns hin, ebenfalls am Fluss gelegen, ein paar Tagesreisen entfernt, irgendwo, wo man bereits Berge sehen konnte. Ich fragte, ob er bei guten Leuten untergebracht wäre. Bilhildis nickte. Ich glaube, ich stellte an die hundert Fragen, und Bilhildis beantwortete jede einzelne mit einem Nicken oder einem Kopfschütteln.
    Dies alles erklärte ich Aistulf mit restloser Offenheit. »Seither weiß ich«, sagte ich zu ihm, »dass Orendel auf einem Gut vier Tagesreisen von uns entfernt lebt, zusammen mit anderen Kindern als Gefährten, dass er keine schweren Arbeiten zu verrichten hat, gut zu essen bekommt, anständig gekleidet wird und sogar ein gewisses Maß an Unterricht erhält. Wir schreiben einander. Zu Beginn einer jeden neuen Jahreszeit gebe ich Bilhildis einen langen Brief, den sie zu ihm bringt, und bald darauf kehrt sie mit Orendels Antwort zurück. Als Agapet mich eines Tages überraschend fragte, warum ich einer Leibeigenen gestatte, Reisen zu unternehmen, erfand ich kurzerhand einen wohltuenden Kräutertrunk, den Bilhildis mir vier Mal im Jahr vom Kloster St. Gallen besorgen sollte.«
    Aistulf lachte. »Du bist gewitzt, das muss ich schon sagen.«
    »Nicht von Natur aus, ich bin es aus der Not geworden. Hätte ich nicht gehandelt, wäre Orendel jetzt tot oder unglücklich, davon bin ich überzeugt, denn ich muss davon überzeugt sein, verstehst du?« Ich klammerte mich an seinen Arm. »Ansonsten wäre alles vergebens gewesen, was ich mir selbst und Orendel angetan habe.«
    »Du hast ihm nichts angetan. So wie du ihn beschreibst, wäre er verbogen worden und würde sich selbst nicht ausstehen können.«
    »Sagst du das aus Überzeugung?«
    »Du hast das Richtige getan.«
    Meine Zweifel, die nur wenige Augenblicke lang gedauert hatten, verzogen sich wie Wolkenschatten.
    »Weißt du, was mir der größte Trost war in diesen Jahren, in denen ich Orendel entbehrte? Der Fluss. Er hat ihn geliebt, er konnte sich nie satt an ihm sehen. Dass mein Sohn stromaufwärts lebte, weckte in mir die Vorstellung, wir seien durch dieses breite Wasserband miteinander verbunden, und ich verbrachte manchmal ganze Tage damit, am Ufer zu sitzen, ins Wasser zu starren und seine Kraft aufzufangen. Gelegentlich zog kleines Treibgut vorbei, handflächengroße Schiffchen, die irgendein Kind aus dünnen Zweigen, Binsen und einem Eichenblatt als Segel gebaut hatte, und dann tat mir die Illusion gut, Orendel könnte dieses Schiff gebaut haben.«
    »Solche Illusionen hast du ab jetzt nicht mehr nötig, Claire. Du kannst Orendel in die Burg zurückholen.«
    Ich lächelte. »Von diesem Moment träume ich schon seit Jahren. Ich möchte in den nächsten Tagen mit Bilhildis aufbrechen.«
    »Warte lieber noch ein paar Wochen.«
    »So lange?«
    »Es wäre besser. In der jetzigen Situation habe ich dich gerne in der Burg, du weißt schon, wegen Elicia und Baldur. Sie haben sich noch nicht geschlagen gegeben.«
    »Ich habe versucht, mit Elicia zu sprechen, aber sie geht mir aus dem Weg.«
    »Baldur mir auch. Und sie stellen jedem, der ihnen über den Weg läuft, Fragen zur Mordnacht. Das sät Unruhe. Es könnte der Eindruck entstehen, wir hätten …«
    »Ja?«
    »… etwas zu tun mit …«
    »Das Geschwätz kann uns nichts anhaben. Und Elicia wird sich schon bald beruhigen.«
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    »Nun, sie wird nichts finden. Sie hatte immer schon Zeiten der – wie nenne ich es? – Überspanntheit. Ihre Einbildungskraft ist enorm. Vielleicht wird Orendels Rückkehr einen guten Einfluss auf sie haben.« Ich überlegte. Schweren Herzens sagte ich: »Du hast recht, ich warte mit meiner Reise, bis sich die Wogen einigermaßen geglättet haben. Ich habe sieben Jahre auf die Rückkehr meines Sohnes gewartet, da werde ich einige wenige Wochen mehr auch noch aushalten.«
    »Wir könnten Raimund schicken, der Orendel holt.«
    »Ich habe mir immer vorgestellt, wie ich selbst ihn von dem Ort, der sein Exil ist, nach Hause hole. Außerdem will ich, dass das böse Geschwätz über uns aufgehört hat, bevor Orendel zurückkommt.«
    Wir gingen denselben Weg am Ufer zurück, den wir gekommen waren. Das Nachmittagslicht war sanft und entspannend, und das Fell meines Pferdes war angenehm warm, sodass ich meine Wange daran schmiegte. In der Ferne sahen wir die ersten Kinder mit einfachen, eilig gefertigten Angeln auf Ufersteinen sitzen, zufrieden und geduldig auf das Abendessen wartend.
    Was für ein

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