Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
der Frauen als des Krieges überdrüssig geworden. Aber Orendel war musisch begabt. Die Verse, die er schrieb, wurden gerne von den Mägden der Burg nachgesungen. Oft war die Burg voll vom Summen der Melodien, die Orendel erschaffen hat. Selbst manche Wachen zitierten meinen jungen Sohn, wenn sie Frauen beeindrucken wollten. Das alles entstand ohne meine Anleitung. Ich hatte ihm lediglich das Lesen und Schreiben beigebracht – dies bereits ein Vergehen in Agapets Augen –, und manchmal fragte er mich um Rat, wenn er unsicher war, ob ein Vers etwas taugte. Was er schuf, schöpfte er aus seinem Innern sowie aus den Beobachtungen, die er machte. Denn er war sehr aufmerksam. Oft sah man ihn an einem Fenster oder einer besonderen Stelle der Burg sitzen und stundenlang seine Umgebung betrachten. Ich sah ein, dass er irgendwann die notwendigsten Fertigkeiten im Umgang mit dem Schwert lernen musste, doch nicht bereits im Alter von zwölf Jahren. Und schon gar nicht gehörte er mit dreizehn Jahren auf ein Schlachtfeld. Doch darauf nahm Agapet keine Rücksicht. Mir war bekannt, wie schonungslos er die Söhne des Landes rekrutierte und in den Krieg mitnahm, wo sie nur allzu oft in den Gräben am Wegesrand endeten, zerhackt von Krähen. Jeden Sommer schickte er Welle auf Welle aus jungem Fleisch und Blut gen Osten und kam mit halber Mannschaft zurück.
    Wie sehr Orendel unter dem Beschluss seines Vaters, ihn auszubilden, litt, konnte ich seinen Versen entnehmen. Sie klangen traurig, manche wütend. In Erinnerung geblieben ist mir jener Vers:
    Wer schuf die erste tödliche Klinge?
    Seine wilde Seele war gerautes Eisen.
    Ich habe in meinem Leben nie stärker gelitten als in den ersten Wochen von Orendels Ausbildung. Er musste Vogelscheuchen wieder und wieder den Kopf abschlagen, mit der Lanze streunende Hunde durchbohren, mit Pfeil und Bogen Katzen jagen … Er begriff so gut wie ich, dass ihm Todesverachtung wie auch Lebensverachtung beigebracht werden sollte. Er hatte keine Mittel, sich dagegen zu wehren. Ich hatte sie auch nicht, aber ich beschaffte sie mir. Ich fasste den Entschluss, Orendel von dem Ort der Peinigungen fortzubringen.
    Doch wie sollte ich eine solche Tat bewerkstelligen? An wen konnte ich mich wenden? Mein Plan einer Entführung war kühn, und bei seiner Umsetzung fühlte ich mich überfordert, weil er nichts mit meinem bisherigen Leben zu tun hatte – eine Entführung, dass ich nicht lache, meine größten Herausforderungen waren nach der Geburt meiner Kinder die Stickereien gewesen. Ich hatte noch nie die Burg verlassen, ohne von zwei von Agapets Wachen begleitet zu werden. Wie also sollte ich Männer für ein solches Vorhaben finden sowie einen Ort ausfindig machen, an den Orendel nach der Entführung gebracht werden würde? Weil ich nicht weiterwusste, weihte ich Bilhildis ein und bat sie um Hilfe. Ich war mir Bilhildis ’ Loyalität sicher, sie war stets meine Vertraute, aber sie gab mir zu verstehen, dass sie auch ihren Gemahl Raimund einweihen müsste, Agapets Leibdiener. Mein Plan uferte zu einer regelrechten Verschwörung aus. Ich gab Raimund mein bestes Schmuckstück, das er zu Geld machte und damit alle Unkosten bestritt. Der Rest war Schweigegeld für ihn. Ich konnte nur hoffen, dass er tatsächlich schweigen würde. Unvorstellbar, wenn Agapet je dahinterkäme. Doch die Entführung wurde ein großer Erfolg. Während eines Gewaltritts durch die Wälder wurden die beiden Ausbilder Orendels überfallen und Orendel selbst verschleppt. Die Schergen waren als Ungarn getarnt. Zwar waren die Ungarn zuletzt im Vorjahr in die ostfränkischen Länder eingefallen, aber jeder traute ihnen zu, plötzlich und überall dort zu sein, wo sie sein wollten. Auch dass sie Gefangene nahmen, war ungewöhnlich, und trotzdem schöpfte niemand Verdacht, dass jemand anderer als die Heiden dahinterstecken könnte. Orendel galt fortan als tot. Außer Bilhildis, Raimund und mir wusste niemand auf der Burg, was wirklich geschehen war. Auch Elicia weihte ich nicht ein – sie hätte es höchstwahrscheinlich ihrem Vater verraten, um sich bei ihm anzudienen. Als Agapet mir die Nachricht überbrachte, brach ich natürlich in Tränen aus, wie sich das gehörte – es waren insgeheim Tränen der Freude.
    Wo war er? Wo war mein Sohn? Ich zersprang vor Neugier, ich wollte so viel wie möglich darüber wissen. Bilhildis malte mir eine Linie in den Waldboden, die den Rhein darstellte, und setzte zwei Punkte. Der eine war unsere Burg,

Weitere Kostenlose Bücher