Die Suendenburg
zu Boden. Wieder versuchte ich, zu weinen, doch erneut gelang es mir nicht. Ich muss sagen, dass Baldur sich in dieser Stunde ritterlich zeigte, denn er zog mich vom Boden hoch, legte mich auf mein Lager und verbrachte einige Zeit schweigend am Fenster. Er ließ mich in Ruhe durchatmen, und tatsächlich spürte ich, wie in mir eine innere Kraft entstand, die ich mir noch nicht ganz erklären konnte und von der es mir schwerfiel, sie zu akzeptieren. So rasch aufzuleben, das bedeutete für mich, Verrat an meinem Vater zu begehen. Dann aber begriff ich, dass ich diese Kraft erhielt – oder mir selbst zum Geschenk machte –, um sie in meines Vaters Dienste zu stellen. Was würde er von mir erwarten? Dass ich seinen Mörder fände!
»Hast du die Ungarin bereits verhört?«, fragte ich Baldur.
Er sah, am Fenster verharrend, zu mir herüber und sagte kein Wort.
Ich schlug die Augen nieder. »Es tut mir leid, was ich gesagt und wie ich mich verhalten habe. Es tut mir ehrlich leid.«
Obwohl es mir ein bisschen widerstrebte, las ich die Scherben vom Boden auf, stellte den Stuhl wieder an seinen Platz und räumte die Kleider wieder in die Truhen – all das natürlich als Zeichen meiner Entschuldigung und Unterwerfung. Manchmal muss man nun einmal Dreck fressen, um die Absolution zu erhalten.
Mitten in meiner Arbeit sagte Baldur: »Nein, habe ich nicht.«
Das hatte ich mir gedacht.
»Ich wäre gerne dabei, wenn du sie befragst. Wie wäre es jetzt gleich?«
»Es ist Brauch, dass die Familie am Tage der Bestattung als Ehrerbietung an den Toten nicht arbeitet.«
Mit seinen ständig zitierten Bräuchen machte er mich rasend, aber dieses Mal ließ ich mir nichts anmerken. Mir lagen eine ganze Reihe Erwiderungen auf der Zunge, die ich allesamt hinunterschluckte. Baldur war ganz Krieger: Auf ein Zücken des Schwertes reagierte er mit einem Heben des Schildes; auf eine weiße Fahne reagierte er mit Entgegenkommen.
»Ich könnte mir vorstellen, dass die schnellstmögliche Bestrafung der Mörderin die größte Ehre ist, die man meinem Vater erweisen kann. Arbeit würde ich das nicht nennen. Eher Pflicht. Aber bestraft werden kann sie erst, wenn ihre Schuld feststeht.«
Er nickte. »Also gut, einverstanden. Aber du wirst dich zurückhalten.«
»Selbstverständlich.«
Ich dachte: Zum Teufel damit.
Das Verhör fand im Bad statt, wo ich mich sehr unwohl fühlte. Das Becken war noch immer nicht abgelassen worden, und im Raum hing ein süßlicher, ekelhafter Geruch. Baldur war ihn vermutlich gewöhnt – man kann die Schlachten, die er geschlagen hat, nur noch mit drei Händen zählen. Als man die Heidin hereinführte, machte sie einen verunsicherten Eindruck. Sie war ohne Zweifel die Hauptverdächtige, und ich fühlte den Hass in mir, der sich gegen sie richtete. Zugleich aber – und ich merke, wie widersprüchlich sich das liest – war sie mir dennoch ein wenig angenehm. Sie war ungefähr in meinem Alter und sehr schön, schien mir jedoch nicht zu jenen Schönen zu gehören, die viel Aufhebens um sich machen. Und sie konnte bei aller Verunsicherung eine gewisse Wildheit ihres Wesens nicht verbergen, von der ich glaube, dass sie auch mir zu eigen ist.
Das Verhör verlief zunächst nicht zufriedenstellend. Die Ungarin sprach Ungarisch – was auch sonst? Baldur stellte ihr Fragen, die sie mit einem Schulterzucken beantwortete, und wenn sie von sich aus etwas sagte, verstanden wir nicht, was sie meinte.
»Habt ihr noch andere Ungarn gefangen genommen?«, fragte ich Baldur.
»Nein, sie war die Einzige. Nachdem das herzogliche Heer die Heiden an der Mur geschlagen hatte, drangen wir ziemlich schnell und weit in ungarisches Gebiet vor. Wir plünderten. Gefangene hätten uns nur aufgehalten. Aber sie … Sie schöpfte Wasser aus einem Bach. Als dein Vater sie bemerkte, befahl er mir, sie zu ergreifen. Bald darauf kehrten wir um. Den Rest kennst du. Dass die Heidin eine fremde Sprache spricht, hat deinen Vater nicht gestört. Wieso auch? Er hat sie bestimmt nicht zu sich ins Bad geholt, um sich mit ihr zu unterhalten.«
Und er fügte lachend hinzu: »Wenngleich ihr Mund vielleicht nicht ganz unbeteiligt bleiben sollte.«
An Baldurs Geschmacklosigkeiten werde ich mich wohl nie gewöhnen. Aber ich riss mich zusammen und ging nicht auf ihn ein.
»Und nun?«, fragte ich.
»Es sieht nicht gut für sie aus. Sie hat neben einem Ermordeten im Bad gesessen.« Er hörte sich nicht so an, als wäre er von ihrer Schuld überzeugt, aber
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