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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Männern alle möglichen Scharmützel lieferte und vor keinem Schlag zurückschreckte. Aber gegenüber Frauen war er immer zurückhaltend gewesen, weder Galan noch Wüstling, sondern eher scheu. Und nun wie aus dem Nichts diese Gewalt. Er war völlig außer sich.
    Ich fiel Baldur in den Arm.
    »Nicht, das tut mir weh«, rief ich.
    »Dir? Ihr soll ’ s wehtun.«
    Seltsamerweise – das berührt mich auch jetzt noch – standen ihm die Tränen in den Augen, und wenn man genau in seine Stimme hineinhörte, schwang dort ein leises Schluchzen mit.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich.
    »Was mit mir ist? Sie hat deinen Vater umgebracht.«
    Mir war entgangen, dass Baldur meinen Vater geliebt hatte. Gewiss, er hatte großen Respekt vor ihm gehabt, aber man weint nicht aus Respekt.
    »Das wissen wir nicht sicher«, sagte ich. »Ihre Geschichte könnte stimmen.«
    »Dort ist der Dolch. Sie hat ihn die ganze Zeit bei sich getragen.«
    »Sie wurde doch gewiss durchsucht, als sie auf dem Feldzug gefangen genommen wurde. Du musst es wissen, du warst dabei.«
    »Ja, natürlich hat man sie durchsucht, aber …« Er wurde ungeduldig, und er ließ den Schopf der Ungarin nicht los. »Ist doch gleichgültig. Dann hat sie den Dolch eben vom Tross gestohlen, dazu hatte sie mehrere Wochen lang Gelegenheit. Sie muss getötet werden.«
    »Wir sind hier nicht auf der Jagd, Baldur. Sag mir bitte, ob gewöhnliche Waffenträger und Gesinde des Trosses einen derart kostbaren Dolch besitzen.«
    Ich zeigte ihm den Dolch, aber er betrachtete ihn nur kurz.
    »Beutegut«, sagte er und zuckte mit den Achseln. »Wir haben den Ungarn einiges abnehmen können.«
    »Das ist eindeutig ein im Reich gefertigter Dolch.«
    »Also haben die Ungarn diesen Dolch auf ihren Raubzügen im Reich gestohlen. Was glaubst du, warum wir den Feldzug geführt haben? Um unsere Sachen zurückzuholen und es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen.«
    »Bitte sieh dir die Inschrift an.«
    »Wozu?«
    »Sieh sie dir an.«
    Widerstrebend sah er sie sich an. »Ich kann nicht lesen, das weißt du doch.«
    »Konradus Rex«, las ich ihm vor.
    »Und?«
    »König Konrad herrscht erst seit einem guten halben Jahr, und in diesem Jahr haben die Ungarn keinen Raubzug ins Reich unternommen. Woher also soll die Ungarin die Waffe bekommen haben? Wenn ich ihn mir genau betrachte … Das scheint der Dolch zu sein, den Vater im Frühling vom König geschickt bekommen hat. Erinnerst du dich, ich hatte dir damals von ihm erzählt. Ein kostbarer silberner Ring und ein ebenso kostbarer, silbern verzierter Dolch in einer silbernen Kassette. Vater schenkte mir den Ring. Die Kassette mit dem Dolch wurde meines Wissens während Vaters Feldzug in der Schatzkammer aufbewahrt.«
    »Bist du sicher?«
    »Dir wäre ein solcher Dolch doch bestimmt aufgefallen, wenn Vater ihn getragen hätte.«
    »Ja, aber …«
    »Er hat ihn nicht getragen. Er hat die Kassette am Tag, nachdem er sie bekommen hatte, in die Schatzkammer neben seinem Gemach gelegt. Wie hätte die Ungarin an den Schlüssel zur Schatzkammer kommen sollen? Und wieso, wenn sie nicht wusste, dass sich dort drin eine Waffe befindet? Das ergibt keinen Sinn, Baldur.«
    Er ließ – halbwegs überzeugt und auch ein wenig erleichtert – von der Ungarin ab. Sie glitt zu Boden, geschwächt von den Schlägen. Baldur lehnte sich erschöpft gegen die Wand, so als wäre er selbst gemartert worden.
    Was war nur mit ihm?
    »Trotzdem bleibt sie im Arrest«, bestimmte er.
    »Wieso? Sie hat es nicht getan.«
    »Sie ist Ungarin. Sie ist unsere Gefangene.«
    »Nenne mir einen besseren Grund.«
    »Wie du willst. Ahnst du, welche Unruhe und Gerüchte es auslösen würde, wenn feststünde, dass der Mörder deines Vaters noch frei herumläuft? Die Heidin muss hinter Schloss und Riegel bleiben, auch wenn sie den Mord nicht begangen hat, und zwar so lange, bis der Mörder aufgespürt ist.«
    Widerwillig musste ich ihm beipflichten.
    Baldur veranlasste, dass man sie in das Quartier zurückbrachte, das mein Vater ihr zugebilligt hatte, wo sie weiterhin unter Arrest steht.
    Baldur ist gewiss noch nicht mit ihr fertig. Und ich bin es, ehrlich gesagt, auch nicht. Über vieles bin ich mir noch nicht im Klaren, über eines jedoch schon: Ich werde den Mörder selbst suchen, finden und anklagen. Das ist es, was mein Vater von mir, seinem einzigen Fleisch und Blut, erwarten würde. Und wenn es mir gelungen ist, dann werde ich die Kraft finden, zu weinen.

Claire
    Der Totenwache konnte

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