Die Suendenburg
entfalten.
Ich setze hierbei vor allem auf Aistulf und die Sorge um seine Gräfin, die guter Hoffnung ist. Er muss ihr verbieten, die Burg zu verlassen, dann ist viel gewonnen. Aber wird das Gift rechtzeitig wirken? Ich darf nichts übereilen, ich muss sehr vorsichtig mit der Dosierung sein, ein bisschen zu viel, und der Zustand der Gräfin wird so augenfällig unnormal – Wahnsinnsanfälle –, dass Aistulf wieder eine Vergiftung vermutet, und dann bin ich, die Vorkosterin, dran. Aber habe ich eine Wahl? Ich weiß mir keinen Rat mehr. Wieder sieht Raimund mich mit seinen Mörderaugen an, und seine gichtigen Hände zittern vor Unrast, sich um den Hals des Jungen zu legen. Sobald die Gräfin sich zur Abreise fertig macht, wird er Orendel erledigen, auch ich werde ihn dann nicht mehr aufhalten können. Er klammert sich an seine Zukunft als freier Mann, selbst wenn ihm nur noch zwei oder drei Jahre bleiben. Er würde, um einen einzigen Tag Leben zu gewinnen, sogar am Vorabend seines Todes jemanden umbringen.
Es steht auf des Messers Schneide. Es ist mir möglich, zu handeln, aber wer weiß, wie lange noch. Ich muss eine Entscheidung treffen, die vielleicht schwierigste Entscheidung meines Lebens. Entweder ich …
Malvin
Ich klopfte nicht an. Die Türen von Leibeigenen dürfen nicht verschlossen sein, und so stand ich nach zwei Schritten mitten im Raum, einer ziemlich kleinen, kargen, ein bisschen muffigen Kammer. Es ist ein Vorrecht, dass Leute wie Raimund und Bilhildis überhaupt eine eigene Kammer bekommen, erklärbar nur durch ihre langjährige Vertrauensstellung, die sie bei ihren Herrschaften einnehmen. Die Alte saß über Papiere gebeugt, und ich fragte mich, was eine Dienerin wie sie mit so viel Papier zu schaffen hat. Und da sie ist, was sie ist, durfte ich nicht nur mir, sondern auch ihr diese Frage stellen.
»Was tust du da? Was ist das? Zeig es mir.«
Den Teufel tat sie. Zuerst starrte sie mich an wie ein Kitz den Wolf, völlig erstarrt, und dann blitzte für die Dauer eines Lidschlags die Angriffslust in ihren Augen auf, bevor sie den Blick senkte.
»Hast du nicht gehört, was ich sagte? Ich will sehen, was du da hast.«
Als ich danach greifen wollte, schützte sie die Papiere mit ihrem Körper, und als ich harscher wurde, stopfte sie sie sich in ihr Gewand, so wie ich es mit dem Papier, das ich hier auf der Burg beschreibe, immer tue.
»Das wird dir nicht helfen. Du kommst mit mir zu Elicia, dann werden wir sehen, ob du so dreist bist, auch ihren Befehl zu missachten. Falls ja, lasse ich dich von ihren Zofen durchsuchen.«
Sie überlegte. Sie nahm die Feder und kritzelte ein paar Zeilen auf ein unbeschriebenes Papier. Ich las: »Ich schreibe die Korrespondenz meiner Herrin, der Gräfin. Da sie zurzeit zu schwach ist, um selbst zu schreiben, hat sie mich gebeten, ihre sehr persönlichen Briefe zu schreiben, unter anderem an den Abt von St. Trudpert, ihren Beichtvater.«
Ich musste mich entscheiden, ob ich ihr glaubte oder nicht. Falls es stimmte, was die stumme Dienerin behauptete, würde ich vertrauliche Briefe der Gräfin abfangen, was einer Beleidigung, falls es sich um eine schriftliche Beichte handelte, sogar einem Sakrileg gleichkam. Natürlich hätte ich die Gräfin auf der Stelle fragen können, aber sie lag, wie ich wusste, krank darnieder. Zudem hatte ich die Dienerin nicht aufgesucht, um sie wegen irgendwelcher Kritzeleien zu verhören. So kam ich zum Schluss, dass ich wenig zu gewinnen hätte, aber viel aufs Spiel setzen würde, wenn ich die Briefe an mich nähme.
»Nun gut. Lege diese Sachen beiseite und folge mir.«
Den ersten Teil des Befehls befolgte sie umgehend, den zweiten Teil jedoch versuchte sie zu umgehen. Sie schien die Gefahr zu spüren, in die ich sie bringen würde, und fing an, Laute von sich zu geben, von denen sie genau wusste, dass sie abschreckend, ja, widerlich klangen.
Ich dachte: Nein, Alte, so wirst du mich nicht los. Zum ersten Mal seit Wochen ging ich wieder der Aufgabe nach, derentwegen ich auf die Sündenburg gekommen war – ich suchte Agapets Mörder. Und ich verfolgte eine Spur, die mich zu Bilhildis geführt hatte.
Entschlossen sagte ich: »Du kommst mit mir, oder ich lasse dich auspeitschen.«
Ihr Widerstand brach zusammen. Wir gingen in Aistulfs, vormals Agapets Gemach. Ich hatte absichtlich einen Zeitpunkt gewählt, an dem Aistulf nicht da war. Die Dienerin sah mich fragend an.
»Es muss hier irgendwo einen Geheimgang oder Ähnliches geben. Du
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