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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Zoltán ist geschickt darin, mit dem Speer Fische zu jagen, die für den Winter eingesalzen werden, und Levdi baut gerne und bessert die Hütte und den Stall für die eiskalten Monate aus. Emese ist noch zu klein für alles, außer stundenlang den Flug der Vögel zu betrachten, so als könne sie darin lesen. Im Winter habe ich ihnen und Lehel Geschichten erzählt, wenn wir um das Feuer saßen. In diesem Winter bin ich allein mit meiner Geschichte.
    Mehrmals am Tag begegnete ich ihm. Er sah mich jedes Mal an. Zu Anfang war er verunsichert, mich frei herumlaufen zu sehen. Dann war er unentschlossen, ob er etwas sagen sollte. Dann überlegte er, was er sagen könnte. Dann schämte er sich. Dann lächelte er. Gestern kam er auf mich zu und sagte: »Ich will wiedergutmachen, was damals passiert ist.«
    Ich glaubte ihm. Er sagte die Wahrheit, aber er verstand nichts. Zwei schlimme Irrtümer in einem Satz. Wie konnte er glauben, so etwas wiedergutzumachen? War er mir auf den Fuß getreten? Hatte er versehentlich mein Gewand beschädigt? Und wie konnte er von »damals« sprechen, wo er doch wissen oder zumindest ahnen musste, dass das, was er mir angetan hatte, jeden Tag aufs Neue passierte, weil es mir jeden Tag aufs Neue vor Augen stand?
    Meine Augen schrien diesen Mann an. Heute, schrien sie, heute ist es passiert. Doch er hörte meine Schreie nicht. Er hörte nur seine eigenen Worte.
    »Wie wäre es? Wir könnten bald einmal ausreiten? Ich zeige dir den Wald und den Fluss. Die Ufer werden bald zufrieren, das wird dir gefallen. Ich weiß, du sprichst nicht meine Sprache. Trotzdem spürst du doch, was ich dir sagen will, oder?«
    Er wollte vergessen machen, was er getan hatte. O nein, wir sprachen tatsächlich nicht dieselbe Sprache. Ich spürte, was er mir sagen wollte, nämlich dass er mich begehrte.
    Ich senkte und hob die Augenlider, eine Geste, die ihm gefiel und die er als Einverständnis wertete. Ich ließ ihn in diesem Glauben.
    »Du wirst es nicht bereuen. Übrigens, ich heiße Baldur. Baldur, verstehst du? Das ist mein Name. Und du? Wie heißt du? Ich Baldur. Bal-dur.«
    Während er sich mit mir wie mit einem Vogel unterhielt, dem er etwas beizubringen versuchte, überlegte ich mir, was ich mit dieser unerwarteten Wendung wohl anfangen sollte. Der Ratschluss der Götter bleibt der Menschen ewiges Rätsel.
    Zur gleichen Zeit warb seine Frau Elicia um meine Freundschaft. Ich hielt das jedoch für Zufall, denn Baldur hatte Elicia gewiss nichts von der Gewalt erzählt, die er mir angetan hatte. Im Übrigen war die Aufmerksamkeit, die sie mir schenkte, nicht von Mitleid oder Aufmunterung gespeist. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass sie selbst Aufmerksamkeit und Aufmunterung nötig hatte. Sie schien mir nicht unglücklich, wenn auch ein wenig einsam. Und da suchte sie sich ausgerechnet mich zur Gesellschaft? Wie merkwürdig, da sie doch gemeinsam mit ihrer Mutter am meisten Grund hätte, auf mich herabzublicken. Die Gräfin sehe ich nie, ich weiß daher nicht, wie sie über mich denkt, sondern nur, dass sie meinen Tod wünscht. Elicia scheint es nichts auszumachen, dass ihr Vater mich im Bad benutzen wollte. Sie nimmt es weder ihm noch mir übel, und Letzteres ist für mich fast noch unverständlicher. Ich jedenfalls habe die vier Nebenfrauen meines Vaters immer ignoriert. Diejenigen, die meinen Vater ehrlich liebten, habe ich als Rivalinnen meiner Mutter gehasst, und diejenigen, die ihn verabscheuten, habe ich verachtet, obwohl sie mir hätten leidtun können, weil sie ein Scheusal zum Gebieter hatten. Er hat sie geritten, wann immer es ihm beliebte, er hat sie gegen ihren Willen gezwungen, er hat sie beschimpft, geschlagen und verbraucht, weil er spürte, dass sie ihn abscheulich fanden. Ich habe sie verachtet, weil keine von ihnen den Mut gehabt hatte, es ihm heimzuzahlen, ihm den Bauch aufzuschlitzen, ein Auge auszustechen, den Schwanz abzuschneiden, Giftpilze ins Essen zu mischen, irgendetwas Schlimmes anzutun, um nicht länger diese Demütigung hinnehmen zu müssen.
    Elicia ist eine seltsame Frau. Sie sieht etwas in mir, doch ich weiß nicht, was es ist. Heute sagte sie: »Ich bekomme ein Kind. Und das Kind wird eine Amme brauchen. Ich möchte dich bitten, meines Kindes Amme zu werden. Sei ihm eine zweite Mutter.«
    Bei den Göttern, dachte ich. Was ist bloß mit dieser Frau, dass sie von allen Frauen der Burg mich auswählt? Sie hat drei rothaarige, vollbusige, singende Zofen, sie hat Geld, sie kann sich

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