Die Suendenburg
mich im Nachhinein schämte. (Wohlgemerkt, ich schäme mich für meine unangebrachte Rage, für die Art meiner Empörung, nicht für die Empörung an sich.)
Daraufhin geriet Baldur noch mehr in Rage. Er schlug Aistulf, der zurückschlug, was ebenso tapfer wie töricht war, weil Baldur, wenn er es darauf anlegt, ganze Schemel mit einem einzigen Hieb zertrümmern kann – was er Agapet gelegentlich stolz gezeigt hat. Diesmal zertrümmerte er Aistulfs linke Rippe, und er hätte dasselbe mit dem Kinn getan, wenn nicht beherzte Männer dazwischengegangen wären.
Eben kam Aistulf herein. Er war lieb und zärtlich und versuchte, den Schmerz, den die gebrochene Rippe verursacht, vor mir zu verbergen. Damit bringt er mich in Verlegenheit, weil es mir schon seit einer Weile nicht mehr gelingt, ihm Sorgen zu ersparen. Ich möchte ihn so gern vor allem schützen: vor Baldur, vor Enttäuschungen, Gefahren, Irrtümern, schrecklichen Verlusten, vor dem Älterwerden, dem Zu-schnell-alt-Werden, vor dem Tod, seinem wie meinem, und vor der Kälte in der Nacht. Und nun, wo ich seine Hauptsorge geworden bin, möchte ich ihn am liebsten auch vor mir beschützen. Aber mir fehlt zu allem die Kraft, sogar zu kleinen Tätigkeiten und Absichten, also woher sollte ich dann die Kraft für Heldentaten nehmen? Ich frage mich, wohin die Kraft entschwunden ist, von der ich monatelang glaubte, im Übermaß zu haben.
»Es tut mir leid, dass ich mich derart habe gehen lassen«, entschuldigte ich mich.
»Mach dir keine Vorwürfe deswegen. Ich habe Baldur der Burg verwiesen. Stell dir vor, er wollte mich zum Kampf mit Schwert und Schild herausfordern.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Dass nur jemand von gleichem oder höherem Stand einen Grafen herausfordern darf und dass das auf ihn nicht zuträfe.«
»Du hast richtig gehandelt. Aber bei den Waffenträgern hast du dadurch beträchtlich an Achtung eingebüßt.«
»Ich weiß. Im Fall, dass ich die Herausforderung angenommen hätte, hätte ich beträchtlich an Leben eingebüßt, und da schien mir die Achtung entbehrlicher zu sein.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. Aistulf kann so wunderbar anders als andere Männer sein, manchmal kommt er mir vor wie jemand aus einer fernen Zeit. Seine Nähe und Liebe tat mir gut, aber das änderte leider nichts an meinen unsäglichen Kopfschmerzen.
»Was wird nun aus Baldur?«, fragte ich.
»Ich habe den Stallmeister angewiesen, Baldur anzubieten, in der Scheune außerhalb der Burgmauer einen Schlafplatz zu bekommen. Du weißt, dort gibt es Unterkünfte für die Knechte. Natürlich darf der Stallmeister nicht verraten, dass das Angebot von mir kommt, sonst würde Baldur es nicht annehmen, und was würde dann aus ihm?«
»Warum bist du immer noch so gut zu ihm?«
»Wegen Elicia. Sollen die beiden vielleicht wie Maria und Joseph herumirren, auf der Suche nach einem Ort, wo sie ihr Kind zur Welt bringen kann? Sie darf in ihrer Kemenate bleiben, das Burgverbot gilt nur für Baldur. Es sei denn, dass das, was du zu ihr gesagt hast, ernst gemeint war. Du sagtest, du willst sie nicht mehr sehen.«
»Ich weiß es nicht, Aistulf. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Diese besondere Wut, die ich auf sie habe, die hat man doch nur, wenn man jemanden liebt, oder? Und zur gleichen Zeit möchte ich sie umbringen.«
Wir sahen uns lange an. Dann gab er mir drei Küsse auf beide Wangen und den Mund. Bevor er ging, hatte er noch eine Überraschung für mich.
»Übrigens, ich werde morgen deinen Sohn besuchen. Ich habe Bilhildis und Raimund angewiesen, alles vorzubereiten. Der Vikar wird nichts merken, ich tarne den Ausflug ins Tal als Weihnachtsbesuch bei den Armen. Du weißt schon, Münzen unters Volk werfen und so weiter. Du – du hast doch nichts dagegen, oder?«
»Dagegen? Ich finde, das ist eine wunderbare Idee von dir. Bilhildis berichtet mir zwar immer von Orendel, aber sie ist ja aus verständlichen Gründen nicht gerade wortgewaltig, und Raimund ist redselig wie ein Baumstumpf. Was die Briefe angeht, sie sind – nun ja, eben nur Briefe. Weißt du was, ich komme mit dir.«
»Das kommt nicht infrage. Der Ritt runter und rauf, die Aufregung, deine Schwäche und Übelkeit … Du musst an unser Kind denken.«
»Ich kann dir nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, dass jemand, den ich liebe, ihn herzlich begrüßt. Wirst du das für mich tun?«
»Selbstverständlich. Ich gestehe, ich bin ein bisschen aufgeregt. Ich kenne ihn nicht, und er kennt mich nicht, und ich
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