Die Suendenburg
ich wechselten einen langen Blick. Erstaunt stellte ich fest, dass eine gewisse Wesensähnlichkeit zwischen ihr und Elicia bestand und dass, wenn man es nicht allzu genau nahm, sogar eine – wie soll ich es nennen? – gegensätzliche Ähnlichkeit des Aussehens vorhanden war: der gleiche Gesichtsausdruck, aber schwarzes Haar, blondes Haar, Bronzehaut, Elfenhaut … Doch ich war müde und wollte dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Daher war es umso überraschender, dass ich mitten in den Wortwechsel zwischen Aistulf und Elicia hineinsagte: »Deine Wahl überrascht mich nicht, meine Tochter. Sie passt zu dir. Ja, wirklich, ich finde es unter diesen Umständen das Normalste von der Welt, dass du dir genau diese Frau zur Amme erwählt und neben dich gesetzt hast. Eins reiht sich ans andere, nicht wahr?«
Das war mir einfach so über die Lippen gekommen, ich traute meinen Ohren nicht. Wieso hatte ich das gesagt? Keiner hatte mich verstanden. Sie hatten meine Worte gehört, ohne den Sinn zu verstehen, und Aistulf ergriff meine Hand und blickte mich voller Sorge und Liebe an, obwohl ich ihm widersprochen hatte.
Elicia sprang empört auf – nein, so kann man das nicht sagen, sie war nicht empört, sie war darauf vorbereitet gewesen, empört zu sein, und glaubte nun, eine Gelegenheit zur Empörung zu haben. Also nahm sie sie wahr.
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts.«
»Von wegen.«
»Wenn du nicht verstanden hast, was ich sagte, wieso regst du dich denn über das Gesagte auf?«
»Weil du nichts ohne Hintergedanken sagst oder tust.«
Ich war ohnehin am Ende meiner Kräfte. Nur mit Mühe hatte ich die Messe überstanden, in meinem Kopf pochte es, das Schwein auf seinem Bett aus Kohl widerte mich an, sogar ein kleiner Schluck Wasser kam mir beinahe wieder hoch, mir war zum Weinen und ich schimpfte mich eine Eselin, weil ich überhaupt etwas gesagt hatte. Alles sprach dafür, dass ich den Rückzug in mein Gemach und einen langen Schlaf antreten würde, so wie ich es früher schon unzählige Male an unangenehmen Abenden mit Agapet getan hatte. Ich hatte mit Agapet nicht streiten wollen, und mit meiner Tochter wollte ich es noch weniger.
Jedoch …
Der Zorn flackerte auf wie ein Mittsommerfeuer. Ich dachte: Du bist mein böser Geist, dich will ich verjagen, wenn du nicht wärst, hätte ich das Glück auf Erden. Und als ich es gedacht hatte, sprach ich es aus. In diesem Moment wünschte ich, ich hätte Elicia nicht geboren. Der Wunsch bestand nicht lange, man leert einen Schierlingsbecher in der Zeit, die der Gedanke dauerte, aber es hat ihn gegeben.
Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber ich meine, danach brach ich weinend am Tisch zusammen.
Aistulf rief: »So, das reicht. Baldur, Elicia, augenblicklich verlasst ihr dieses Fest.«
Ich hörte Baldur irgendetwas antworten. Er und Aistulf schrien sich an. Ich dachte: Nein. Nein. Was ist nur mit uns? Was geht hier vor?
Und plötzlich saß Elicia neben mir. War das Mitleid und Bedauern in ihren Augen? Oh, wie sehr habe ich mir das gewünscht! Mitleid ist ein Anfang. Es war also nicht alles verloren. Sie wischte mir eine Träne von der Wange, und sofort war ich glücklich, ebenso schnell wie ich kurz vorher zornig gewesen war.
Und was sagt sie dann? Was erlaubt sie sich, mir zuzuflüstern?
»Aistulf ist ein grausamer, böser Mensch. Er spielt dir etwas vor. Du bist da hineingeraten, so etwas passiert, ich weiß ja selbst, was Liebe ist. Aber mach die Augen auf, Mutter. Aistulf benutzt dich nur. Er hat – er hat versucht, mich umzubringen, neulich Nacht, du erinnerst dich, als ich schrie. Das war kein Traum, das war Aistulf, er selbst oder ein gedungener Meuchler, und er wird es wieder tun, Mutter, ich weiß es, ich habe es gehört, glaube mir, Mutter, er will mich umbringen.«
Mir war, als würde ich umhergeschleudert, ja, als steckte ich wieder in jenem Fass, in dem ich einst als Zehnjährige den Hügel hinabgerollt bin. Mein Körper schien zerbrechlich, wie aus Gips geformt, und meine Gedanken waren Scherben.
Ich erhob mich langsam. Alle im Saal achteten auf das Wortgefecht zwischen den beiden Streithähnen, bis ich rief: »Du bist krank, Elicia, zutiefst zerrüttet an Seele und Geist, eine Schwachsinnige, hörst du? Eine Schwachsinnige. Ich will dich nicht mehr sehen. Geh irgendwohin, wo du keinen Schaden anrichten kannst.«
Und dann begann ich zu schreien. Ich weiß nicht mehr, was. Es wuchs sich zu einem regelrechten Tobsuchtsanfall aus, für den ich
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