Die Sündenheilerin (German Edition)
dazu bewegen, um Waffenstillstand zu bitten. Lena verbrachte täglich viele Stunden an Saids Seite, um die Verwundeten zu versorgen. Die Arbeit half ihr, sich von ihren Sorgen um Philip abzulenken. Schon bald war sie selbst in der Lage, Wunden genauso gut zu nähen, wie es der Araber vermochte. Mechthild hielt sich meist in ihrem Zelt auf, blass und unsicher. Seit sie die ersten Verwundeten gesehen hatte, fürchtete sie ständig um Johann. Allerdings lehnte sie Lenas Vorschlag ab, sich ebenfalls um die Verletzten zu kümmern.
»Ich kann das Sterben nicht ertragen«, sagte sie. »Wie haltet Ihr das nur aus, Helena?«
Lena blieb ihr die Antwort schuldig. Zu sehr war ihr Mechthilds freudige Erregung bei Barbarossas Hinrichtung im Gedächtnis geblieben. War es wirklich das Sterben, das die Fürstentochter schreckte? Oder vielmehr der Gestank und das Blut?
Doch nicht alle waren derart betroffen. Viele der älteren Kämpen betrachteten die Belagerung noch immer als großen Spaß. Einige prahlten sogar mit ihren Wunden. Auch das Kampfgeviert in der Mitte des Lagers wurde noch genutzt, um sich vor den Damen zu präsentieren, und immer öfter fand sich die eine oder andere Magd, die sich nicht scheute, ihre Reize wie eine Hure darzubieten. Zwar bemühten sich alle, derlei vor den Augen der edlen Damen zu verbergen, aber wo gestorben wurde, verlor die Schicklichkeit an Bedeutung.
Am fünften Tag der Belagerung kamen erstmals Katapulte zum Einsatz, die man in den Tagen zuvor vor Ort zusammengebaut hatte. Lena hatte kaum Augen für diese Waffen. Sie sammelte alle ihre Kräfte, um sich gemeinsam mit Said um die Verwundeten zu kümmern. Von der Burg her hörten sie den Kampflärm, den der neue Angriff mit sich brachte. Plötzlich zerriss ein Donnerschlag die Luft. Dann ein zweiter. Lena zuckte zusammen.
»Was war das?«
»Ihr habt es schon einmal gehört«, antwortete Said. »Damals am Geistertor. Philip hat dem Fürsten die Kraft des schwarzen Pulvers gezeigt und ihm geraten, es einzusetzen.«
»Aber wie?«
»Sie schießen mit den Katapulten versiegelte Tonkrüge über die Mauern, die mit schwarzem Pulver und Steinen gefüllt sind. An den Krügen befindet sich so etwas wie ein Kerzendocht, der langsam abbrennt und das Pulver erst entzündet, wenn das Wurfgeschoss über der Mauer ist. Dann zerbirst der Krug, und die Steine fliegen als tödlicher Regen über die Reihen der Verteidiger.«
»Das ist grauenvoll!«, rief Lena.
»So ist der Krieg«, antwortete Said.
Ein Mann stürmte ins Zelt.
»Said al-Musawar, wir brauchen Euch! Herr Johann ist schwer verwundet!«
Sofort sprang Said auf. »Was ist mit ihm?«
»Ein Pfeil traf ihn in der Brust. Sie bringen ihn soeben in sein Zelt.«
Said rannte los, Lena folgte ihm.
Vor dem Zelt des Hohnsteiners hatten sich etliche Männer versammelt. Said drängte sich an ihnen vorbei, Lena blieb unmittelbar hinter ihm. Man hatte Johann auf sein Lager gelegt, Philip war an seiner Seite. Der Hohnsteiner trug noch immer das schwere Kettenhemd. Ein Pfeil hatte die metallenen Ringe oberhalb des Herzens durchschlagen. Der Schaft war abgebrochen, aber niemand hatte gewagt, die Spitze zu entfernen.
Johann stöhnte. Er war kaum mehr bei sich.
»Kannst du ihn entfernen?«, fragte Philip.
»Ich weiß noch nicht«, antwortete Said. »Wir müssen das Kettenhemd aufschneiden.«
Jemand reichte ihm eine Zange. Geschickt bog Said die einzelnen Ringe auf und schnitt auch das gesteppte Wams darunter auf. Der helle Stoff hatte sich dunkelrot verfärbt.
»Wie lang war der abgebrochene Schaft?«
Philip zeigte ihm den Rest des Pfeiles.
»Dann ist er nicht allzu tief eingedrungen«, erklärte Said. »Das Herz ist nicht getroffen, aber vielleicht die Lunge. Hilf mir, ihn auszuziehen!«
Es war nicht leicht, dem fast Bewusstlosen das schwere Kettenhemd abzustreifen. Die Kleidung schnitt Said ihm einfach vom Leib. Dann betrachtete er die Atmung des Mannes. Lena sah, dass sich der Brustkorb des Hohnsteiners gleichmäßig hob und senkte.
»Die Lunge ist vermutlich unverletzt geblieben. Ich hoffe, die Widerhaken sind nicht zu stark.« Said packte den Schaft des Pfeils knapp über der Wunde, dann führte er eine schnelle Drehung durch und zog den Pfeil mit einem Ruck heraus. Johann schrie auf, Blut quoll aus der Wunde. Hastig drückte der Araber einen weißen Leinenstreifen auf die Blutung. Lena konnte sehen, wie schnell sich der Stoff vollsaugte.
»Ich brauche ein Brandeisen.«
Ein Mann
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