Die Sündenheilerin (German Edition)
verschwand.
»Wird er es schaffen?«, fragte Lena leise.
»Das hängt davon ab, ob ich die Blutung schnell genug versiegeln kann«, entgegnete Said und presste einen zweiten Stoffstreifen auf die Wunde, der sich fast ebenso schnell rot verfärbte wie der erste.
Der Mann kehrte mit dem Brandeisen zurück. Said ließ es im Kohlebecken durchglühen. Noch während das Eisen erhitzt wurde, hörte Lena Mechthild draußen schreien.
»Johann! Was ist mit Johann?« Sie stürzte ins Zelt.
»Kümmert Euch um sie, Frau Helena. Sie soll mir nicht im Weg stehen«, verlangte Said. Lena nickte und lief der Fürstentochter entgegen.
»Es ist alles gut, Mechthild, Said behandelt Johann, er wird wieder gesund.«
»Lasst mich zu ihm!«
»Gleich, wenn Said fertig ist.« Sie nahm Mechthild in die Arme, als wolle sie sie trösten, doch gleichzeitig hielt sie sie von Johanns Krankenlager fern.
»Er darf nicht sterben!« Tränen liefen Mechthild über die Wangen. Lena drückte sie noch fester an sich.
»Er wird nicht sterben.«
Aus den Augenwinkeln sah Lena, wie Said das Brandeisen aus dem Kohlebecken hob. Ein hässliches Zischen, Johann schrie, obwohl er kaum bei Bewusstsein war. Die Luft roch nach verbranntem Fleisch. Mechthilds Tränen sickerten in Lenas Kleid.
Ein weiteres Zischen. Diesmal schrie Johann nicht mehr. Lena schluckte.
Said atmete tief durch, dann legte er das Eisen fort und ließ sich sauberen Verbandstoff geben. Mechthild hob vorsichtig den Kopf.
»Ist er …«, sie wagte nicht weiterzusprechen.
»Er ist nur bewusstlos«, antwortete Philip. »Said hat die Blutung gestillt. Jetzt heißt es abwarten, ob er nicht zu viel Blut verloren hat.«
Mechthild fing erneut an zu weinen.
»Er ist stark«, versuchte Philip sie zu beruhigen. »Er wird es überstehen. Said wird alles für ihn tun.«
»Wie ist es geschehen?«, fragte Lena.
»Wie es so geschieht. Einer der Verteidiger traf«, antwortete Philip knapp. »Ich habe es gesehen und ihn sofort aus dem Schussfeld geholt.«
Erst als Said Johann fertig verbunden hatte, ließ er Mechthild an das Krankenlager. Die Fürstentochter sank neben Johanns Lager auf die Knie und ergriff seine schlaffe Hand.
»Ich werde an seiner Seite bleiben, bis es ihm besser geht«, verkündete sie. Niemand widersprach ihr.
An diesem Abend war es seltsam still in Mechthilds Zelt. Die beiden Mägde waren mit der Fürstentochter in Johanns Zelt gezogen. Nur Tante Margarita und Lena waren zurückgeblieben. Die alte Nonne zeigte sich so schweigsam wie selten. Die schwere Verwundung des Hohnsteiners ging ihr näher, als Lena erwartet hatte.
Es dauerte lange, bis Lena in dieser Nacht Schlaf fand, obwohl es ruhiger war als in den Nächten zuvor. Fürst Leopold hatte den Männern anlässlich der schweren Verwundung seines künftigen Schwiegersohnes untersagt, bis spät in die Nacht zu feiern und zu singen.
Der Wind rauschte in den Wipfeln der Bäume, und die Zeltbahn flatterte. Tante Margarita schnarchte leise. Lena wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Immer wieder hallten die schrecklichen Schreie der Verwundeten in ihrem Kopfe nach, am schlimmsten war Johanns Schrei, als Said ihm das Brandeisen zum ersten Mal in die Wunde gedrückt hatte.
Ein leises Rascheln schreckte sie auf. War Tante Margarita wach geworden? Nein, sie schnarchte noch immer. Draußen war es dunkel. Die meisten Männer hatten sich inzwischen zur Ruhe begeben. Sie lauschte noch eine Weile, dann legte sie sich wieder hin.
Wieder dieses Rascheln und das Tappen leiser Schritte. Ob Mechthild eine ihrer Mägde geschickt hatte, um etwas zu holen? Aber die hätte doch ein Handlicht dabeigehabt, oder?
»Wer ist da?«, fragte sie. Keine Antwort. Die Schritte waren verstummt. Hatte sie sich die Geräusche nur eingebildet? Sie horchte in die Dunkelheit, doch alles blieb ruhig.
Da! Wieder Schritte! Sie fuhr hoch. Gleichzeitig erkannte sie einen Schatten vor ihrem Gesicht, und eine Hand legte sich hart über ihren Mund. Sie wehrte sich, wollte schreien, schlug um sich, da wurde sie von weiteren Händen gepackt und aus dem Bett gezerrt. Mit den Füßen stieß sie gegen einen Krug, der scheppernd zu Boden fiel.
»Was ist los?«, hörte sie Tante Margarita fragen.
»Bring die Alte zum Schweigen«, flüsterte einer der Männer. Lena strampelte und wehrte sich gegen den festen Griff, versuchte, in die Hand zu beißen, die ihr den Mund verschloss. Der Mann stieß sie mit dem Hinterkopf hart gegen den Pfosten des Bettes.
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