Die Sündenheilerin (German Edition)
Sterne tanzten ihr vor den Augen, die Luft blieb ihr weg. Tante Margaritas heiserer Schrei verstummte zu einem röchelnden Gurgeln. Dann ein dumpfer Laut, als wenn ein Körper auf den Boden gefallen wäre. Was hatte er mit ihrer Tante gemacht?
»Bring das Weibsbild endlich zur Ruhe, ich kann ihr nicht auch noch die Kehle durchschneiden.«
Die Kehle durchschneiden? War das das Gurgeln gewesen, das Tante Margaritas letzten Schrei erstickt hatte? Nein! Die Sterne wurden zu roten Flammen, als Lena sich gegen den Griff des Mörders zur Wehr setzte, ihn mit aller Kraft trat und schlug. Es gelang ihr, in seine Hand zu beißen, sein Blut zu schmecken. Mit einem Fluch zog er seine Hand zurück. Sie wollte schreien, doch noch ehe sie Luft geholt hatte, schlug er ihr mit der Faust hart ins Gesicht. Sie hörte das Knacken ihres Nasenbeins, Blut lief ihr über das Gesicht und in den Rachen hinunter, doch sie wehrte sich noch immer. Ein weiterer Schlag, diesmal gegen das Kinn, dann wurde alles still um sie.
Ihr war übel. Alles schwankte. Nur langsam begriff sie, wo sie war. Sie steckte in einem alten Sack, ihr Kopf hing nach unten, das Blut tropfte noch immer aus der Nase. Anscheinend hatte sie einer ihrer Entführer wie einen Mehlsack über die Schulter geworfen. Die Hände hatte man ihr auf den Rücken gebunden, und auch die Fußknöchel waren zusammengeschnürt. Ihr Schädel pochte. Das Atmen fiel ihr schwer, raubte ihr die Kraft zum Schreien. Wohin brachte man sie? Dann fiel ihr wieder Tante Margarita ein. Hatten die Kerle die Nonne wirklich umgebracht? Nein, das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Bestimmt war alles nur ein grausamer Albtraum. Allein der Schmerz in ihrem Schädel und ihrem zerschlagenen Gesicht bewies ihr das Gegenteil. Sie wartete darauf, dass die Angst sie ergriff. So wie damals, als Barbarossas Männer alle abgeschlachtet hatten. Doch sie fühlte nur Übelkeit und Hass. Und einen Zorn, so gewaltig, dass sie am liebsten mit den gefesselten Füßen nach ihrem Entführer getreten hätte, einen Zorn, der ihr die Kraft verlieh, an ihren Fesseln zu zerren, bis ihre Handgelenke wund gescheuert waren. Einen Zorn, der sie vor jeder Angst beschützte.
In der Welt der Dunkelheit, die sie umgab, lauschte sie auf jedes Geräusch. Die Tritte der Männer, zunächst über den weichen Waldboden, dann hielten sie inne. Ein Knarren wie von einer schweren Tür. Wohin brachten sie sie? Nun war es ein steinerner Boden, auf dem die Tritte der Stiefel widerhallten. Ein seltsamer Hall, so wie in einem Gewölbe. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Hatte man sie weit fortgebracht? Stufen. Der Mann, der sie trug, schnaufte, während er mit seiner Last die Treppen hinaufstieg. Wer hatte sie entführt? Und warum? Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, während ihr Schädel noch immer pochte und die Übelkeit sie fast ersticken ließ. Sie schnaubte, um das Blut aus der Nase zu kriegen, doch der Schmerz ließ sie innehalten.
Eine weitere Tür wurde geöffnet. Der Mann warf sie wie einen Sack Gerümpel zu Boden.
»Habt ihr sie?«
Graf Dietmar! Das war Graf Dietmars Stimme! Hatte man sie etwa in seine Burg verschleppt? Aber wie? Gab es einen Geheimgang? War das jenes geheimnisvolle Gewölbe gewesen? Aber warum hatte man sie geraubt? Was wollte der Graf von ihr?
Man riss ihr den Sack herunter. Sie brauchte einen Moment, bis sie erkannte, wo sie war. War dies nicht eines der Zimmer über Elises Kemenate?
»Das ist nicht Mechthild!«, schrie Graf Dietmar. »Verdammt, ihr habt die Falsche gebracht!«
»Aber sie schlief im Zelt der Fürstentochter, in ihrem Bett. Woher sollten wir wissen, dass …«
Graf Dietmar schlug dem Mann ins Gesicht. »Verschon mich mit deinen dummen Ausflüchten.« Dann sah er Lena an. In seinen Augen leuchtete es blutrot. Eine Seelenflamme, aus der schon die Hölle loderte. Wie einst bei Barbarossa, bevor er ihr das Schwert in die Brust gerammt hatte.
»Aber wer weiß, vielleicht bist du mir ebenso nützlich.« Er zerrte sie hoch. »Schafft mir die Gräfin herbei!«
Die beiden Männer verschwanden. Lena fröstelte. Erst jetzt wurde sie sich bewusst, dass sie nur im Nachthemd vor ihm stand.
»So, der Ägypter hat dich angeblich entführt. Dabei bist du ihm vermutlich nachgelaufen wie eine rollige Katze. So wie ihr Weiber alle seid!«
Lena schwieg.
Vor der Tür hörte sie Schritte und wandte den Kopf. Elise betrat die Kammer. Als sie Lena sah, zuckte sie zusammen.
»Was hat das zu
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