Die Sündenheilerin (German Edition)
selten hatte ihn ein Anblick so berührt wie dieser. Schwester Margarita, Lenas Tante, die vor Leben gesprüht hatte wie keine Zweite. Eine Frau, die sich trotz ihrer frommen Tracht nie gescheut hatte, ihre Meinung zu vertreten. Schwester Margarita, der er so viel verdankte und die sein Herz auf eine Weise für sich erobert hatte, wie es nur eine starke Persönlichkeit vermochte. Er hatte sie gerngehabt, Lenas letzte lebende Verwandte. Nein, es war mehr als das gewesen. Er hatte sie geliebt, in ihrer ganzen Art, so als gehöre sie zu seiner Familie. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Wer war das? Die Männer, die dort draußen knien?«
»Nein, sie hatten die Wache, aber sie haben lieber gesoffen, statt ihre Aufgabe zu erfüllen.« Leopold presste die Lippen fest aufeinander. Auch ihm fiel es schwer, die Fassung zu bewahren.
»Was ist mit Lena?«
Leopold schüttelte den Kopf. »Wir haben alles durchsucht, sie ist fort. Die Mörder von Schwester Margarita müssen sie entführt haben.«
»Gibt es einen Verdacht?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Das kann doch nicht wahr sein!« Philip schrie es heraus. »Ihr könnt mir nicht erzählen, dass unsere Wachtposten sich besaufen und unterdessen eine Frau getötet und eine andere entführt wird? Es hätte Eure Schwester sein können, wenn sie diese Nacht nicht an Johanns Seite gewacht hätte.«
Leopold sagte kein Wort.
Von draußen hörten sie Stimmengemurmel. »Was hat das hier zu bedeuten?«, rief ein Mann. »Wer hat meine Männer unter Arrest gestellt?«
Philip zuckte zusammen. Ulf von Regenstein.
»Die Wächter gehören zu den Regensteinern?« Philip starrte Leopold fassungslos an. Der nickte stumm.
Philip hastete an ihm vorbei aus dem Zelt.
»Das sind Eure Männer, Ulf von Regenstein?«
Irgendetwas in Philips Blick trieb den Regensteiner zwei Schritte zurück.
»Sind das Eure Männer?«, herrschte Philip ihn an.
»Ja, das sind sie.«
»Und sie hatten die Wache?«
Ulf nickte. Die Großspurigkeit war aus seinem Gesicht gewichen.
»Dann sagt mir, wo Helena von Eversbrück abgeblieben ist und wer die ehrwürdige Schwester Margarita ermordet hat!« Rote Wutfunken tanzten vor Philips Augen. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, Ulf von Regenstein nicht auf der Stelle an die Kehle zu gehen.
Der Regensteiner wich einen weiteren Schritt zurück. Flackerte da wirklich Furcht in seinem Blick?
»Ihr glaubt doch nicht etwa, ich hätte etwas damit zu tun!«
Bevor Philip antworten konnte, hörte er laute Rufe.
»Seht zur Burg!«, schrie einer der Männer. Oben auf der Mauer war ein hölzerner Pfahl errichtet worden. Trotz der Entfernung erkannte Philip, dass zwei Männer eine zierliche Gestalt mit langen blonden Haaren, die nichts als ein weißes Hemd trug, daran festbanden.
»Lena!«, schrie er. Sein Blick jagte zwischen ihrer hellen Gestalt und dem Lager hin und her. Schließlich trat Leopold auf ihn zu. Der Fürstensohn war blass geworden. Er hatte die Gefesselte auch erkannt.
»Wer hat sie dorthin verschleppt?« Philip wandte sich wieder zu Ulf von Regenstein. »Haben Eure Männer nicht einmal den Kampfplatz bewacht?«
»Das ist unmöglich!«, widersprach der Regensteiner. Philip glaubte ein leichtes Zittern in seinen Worten wahrzunehmen. Die ganze Angelegenheit war dem Regensteiner unangenehmer, als Philip gedacht hatte.
»Vielleicht bietet sich noch eine andere Möglichkeit«, warf Leopold ein. »Möglicherweise gibt es einen Geheimgang, den wir nicht kennen. Wenn wir ihn fänden, könnten wir die Burg im Handstreich nehmen und Frau Helena befreien.«
»Ich habe zwei hervorragende Spürhunde«, mischte sich Ulf von Regenstein ein. »Wenn Ihr wollt, stelle ich sie Euch zur Verfügung.«
»Ach ja?« Philip verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn die genauso hervorragend sind wie Euer Sohn oder Eure Wächter, dann führen sie uns vermutlich eher zum nächsten Metzger.«
»Er hat wirklich gute Hunde«, bestätigte Leopold. »Ich nehme Euer Angebot an, Herr Ulf.«
Philip schwieg und starrte weiter auf die Burg. Es war ein kühler Morgen, Lena trug nur ein dünnes Nachthemd. Er bemerkte, dass er die Fäuste nicht mehr geöffnet hatte, seit er in Schwester Margaritas totes Antlitz geblickt hatte.
Das kleine Tor neben der Zugbrücke öffnete sich, und eine weiße Fahne schob sich hervor.
»Er will verhandeln«, erklärte der junge Leopold. »Kommt, Herr Philip, hören wir uns die Forderungen an.«
Sie eilten zum Zelt des Fürsten.
Herzog
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