Die Sündenheilerin (German Edition)
Blick richtig.
»Ihr konntet ihr nicht helfen?«
»Alles braucht seine Zeit. Es ist, als liege ein tiefer Kummer auf ihrer Seele, für den sie keine Worte findet.«
»Ein Kummer«, wiederholte er. »So geht es uns wohl allen.« Er atmete tief durch. »Kommt, Frau Helena, lasst uns sehen, ob die Mägde für uns einen Becher Schlehenwein bereithalten.«
Er bot ihr ritterlich den Arm an. Einen Moment lang zögerte sie, ihn zu ergreifen, obgleich doch nichts dabei war. Dann überwand sie ihre Scheu und ließ sich von ihm in die innere Burg zurückführen. Hasso folgte ihnen. Zu Lenas Überraschung hielt Dietmar geradewegs auf das große Küchenhaus zu. In der Nähe des Herdfeuers standen eine Bank und ein einfacher Holztisch. Lena erkannte Gerda, die damit beschäftigt war, Hühner zu rupfen. Als Gerda den Grafen sah, sprang sie wortlos auf und stellte einen tönernen Krug und zwei Becher auf den Tisch. Er schenkte der Magd ein kurzes Lächeln, bevor er sich setzte. Auch Lena nahm Platz, während Gerda sich am anderen Ende der Küche wieder ihren Hühnern zuwandte.
»Ich hoffe, Ihr mögt Schlehenwein.« Er nahm den Krug und schenkte ihnen ein. Lena nickte stumm. Auf einmal war ihr, als bewege sie sich auf verbotenem Gebiet. Dabei wirkte alles so harmlos und unschuldig. Unter dem Tisch hatte Hasso ihre Füße zur Ruhestatt für seinen massigen Kopf auserkoren, und das Herdfeuer erfüllte die Küche mit angenehmer Wärme. Gerda summte eine alte Weise vor sich hin, während sie die Hühner im Takt dazu rupfte.
»Ihr reitet oft allein zur Jagd?« Lena ergriff den Becher, den Dietmar ihr reichte. Gern hätte sie eine geistreichere Frage gestellt, aber ihr fiel nichts ein.
Entweder sah er ihre Unsicherheit nicht, oder er war feinfühlig genug, sich nichts anmerken zu lassen.
»Nur an Tagen, an denen ich meine Gedanken ordnen muss. Ihr erinnert Euch, wie Herr Ewald heute Morgen zu mir kam?«
»Gewiss. Brachte er schlechte Nachrichten?«
»Das kann man wohl sagen.« Dietmar nahm einen kräftigen Schluck und knallte den Becher unerwartet heftig auf den Tisch.
»Eine meiner Eisenerzlieferungen an Fürst Leopold von Halberstadt fiel Räubern in die Hände.«
»Ein Überfall?« Lenas Augen weiteten sich.
»Schon der dritte innerhalb des letzten halben Jahres.« Ein grimmiger Zug legte sich um Dietmars Mund. »Ich gäbe einiges darum, wenn ich wüsste, wer dahintersteckt.«
»Ihr meint, jemand will Euch schaden?«
»Klingt das so abwegig? Was sollten die Räuber mit dem Erz anfangen? Sie werden es kaum zur Verhüttung bringen.«
»So habt Ihr einen Verdacht?« Auf einmal war Lenas Befangenheit verschwunden.
»Nein. Es könnte auch sein, dass die Überfälle gar nicht mir gelten, sondern Fürst Leopold. Jedes Mal waren die Lieferungen schon an den Halberstädter übergeben, sodass er den Verlust zu tragen hat. Fragt sich nur, wie lange noch.« Dietmars Rechte ballte sich zur Faust, als wolle er die unbekannten Täter zerquetschen.
»Das klingt, als befürchtet Ihr, jemand wolle einen Keil zwischen Euch und Leopold treiben.«
»Weiß ich’s?«, fragte Dietmar. »Seit Generationen stehen die Grafen von Birkenfeld treu zu Halberstadt. Mein Bruder starb für die Ehre des alten Fürsten. Mein Vater hat das nie verwunden, aber stets predigte er die Treue den Pflichten gegenüber, bis er selbst vor vier Jahren heimgerufen wurde. Daraufhin schloss ich einen Vertrag mit Fürst Leopold, um mich durch Eisenerzlieferungen von den Vasallenpflichten zu befreien.« Er leerte seinen Becher und füllte ihn neu. »Leopold ist anders als sein Vater. Der alte Herzog war kein Kostverächter und lud so manche Sünde auf sein Haupt. Deshalb schloss er sich aus Sorge um sein Seelenheil vor gut achtundzwanzig Jahren dem Kreuzzug unter Führung von Bonifatius von Montferrat an und erwartete von seinen Gefolgsleuten bedingungslose Treue.« Dietmar lachte bitter auf. »Manche munkelten, es sei ihm weniger ums Seelenheil als um die Reichtümer Jerusalems gegangen. Ich war damals noch ein kleiner Knabe von fünf Jahren, aber mein Bruder Otto war längst ein Ritter. Mit zweiundzwanzig Jahren war er in jedem Turnier ein gefürchteter Gegner. Ich erlebte einmal, wie er im Tjost einen nach dem anderen aus dem Sattel stieß. Unser Vater war so stolz auf ihn.« Ein tiefer Seufzer entrang sich Dietmars Brust. »Auf der Überfahrt nach Byzanz geriet die Flotte in einen Sturm. Otto ist irgendwo da draußen ertrunken.« Er drehte den Becher in der Hand
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