Die Sündenheilerin (German Edition)
vermag ich nicht viel zu sagen, aber dieser Philip ist nicht zu unterschätzen. Sein Wallach macht einen guten Eindruck. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein wohlausgebildetes Schlachtross ist. Und dann sein Schwert. Der Knauf lässt auf eine kostbare Waffe schließen. Wäre er kein Ägypter, wäre ich mir sicher, einen Ritter vor mir zu haben. So aber weiß ich nicht, wie ich ihn einzuschätzen habe.«
»Warum fragt Ihr ihn nicht?«
»Genau das werde ich heute Abend tun, Frau Helena.«
Schwester Ludovika nahm die Neuigkeiten anders als erwartet auf. Lena hatte gedacht, ihre Freundin sei neugierig auf die Reisenden, würde der abendlichen Runde ebenso wie sie selbst entgegenfiebern, doch stattdessen zeichnete sich ein Hauch von Entrüstung in den Zügen der Nonne ab.
»Ein Heide soll mit uns an der Tafel sitzen?«
»Was empört dich so?« Lena konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Immerhin schenkte ein Christ ihm seine Freundschaft. Vielleicht sucht der arme Heide noch nach dem rechten Weg.«
»Du hast recht, ich will kein Urteil fällen, ehe ich ihn sah.« Ludovika seufzte gottergeben. »Möglicherweise ist es uns bestimmt, ihn in Christi Arme zu führen.« Sie hob die Augen gen Himmel, als spräche sie ein stummes Gebet, dann bekreuzigte sie sich.
Fast glaubte Lena, in Ludovikas Miene so etwas wie heiligen Kampfesmut zu entdecken. Der Abend versprach aufregend zu werden.
Wie schon tags zuvor erschienen Lena und Ludovika etwas vor der Zeit im Prunkgemach. Bei ihrem Eintreten erhob Graf Dietmar sich von seinem Lehnstuhl und schenkte Lena ein Lächeln. Doch es war kein fröhliches Lächeln. Sie erkannte Wehmut darin. Sollte sie ihn fragen? Wäre sie allein gewesen, so hätte sie nicht gezögert, doch Ludovikas Gegenwart erfüllte sie mit einer eigentümlichen Scheu.
Ihre ungewisse Neugier hielt nicht lange an.
»Die Gräfin lässt sich entschuldigen. Nach dem gestrigen Anfall fühlt sie sich noch nicht stark genug, uns Gesellschaft zu leisten.«
Welch seltsame Frau Elise doch ist, dachte Lena. Zu gut erinnerte sie sich an den herausfordernden Blick der Gräfin, der so gar nichts von Schwäche gezeigt hatte. Aber zugleich mahnte sie sich, auch der anderen Seite zu gedenken, jener Frau, die sich selbst mit totem Holz verglichen hatte. Wie sollte sie diese beiden Hälften nur zueinanderführen und das Leid der Gräfin lindern? Gewiss, Heilung gab es nur durch Gott, es lag allein in seiner Macht, durch sie zu wirken, und doch hatte Lena das Gefühl, die Verantwortung liege allein bei ihr.
Das Klappen der schweren Eichentür riss sie aus ihren Betrachtungen. Soeben traten Philip und sein heidnischer Begleiter ein. Ludovika holte tief Luft. Ob sie wohl gleich mit einer Predigt beginnen würde? Oder war es eher der Anblick des Christen, welcher die Brust der jungen Nonne beben ließ? Nein, das konnte nicht sein, über derartige Gedanken musste eine geweihte Jungfrau erhaben sein. Obwohl, einen sündigen Gedanken war der Ägypter sicher wert. Er war noch immer überwiegend in Schwarz gekleidet, aber er hatte sein kurzes Obergewand gegen einen knielangen Bliaut eingetauscht, ebenso schwarz, doch waren dessen Säume mit roten Borten besetzt. Über seiner breiten Brust befand sich eine Stickerei aus rotem Garn, die seltsam verschlungene Ornamente darstellte. Ob sie wohl eine Bedeutung hatten? Vielleicht ein fremdländisches Wappen? Lena dachte an das Wappen ihrer eigenen Familie, einen springenden Hirsch. Ihr Vater hatte es stets voller Stolz auf dem Waffenrock getragen. Für einen Moment schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit, doch dann schenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Ägypter.
Um die Hüften trug er einen rotbraunen Gürtel mit einer glänzenden Schnalle, die durch die Hände kunstfertiger Silberschmiede gegangen sein musste. In dem Gürtel selbst steckte ein seltsam geformter krummer Dolch in einer silbernen Scheide, ebenso reich verziert wie die Schnalle. Lena fragte sich, ob diese Waffe nur ein Schmuckstück war oder auch einen praktischen Nutzen erfüllte. Dabei ließ sie den Blick höher wandern. Der Stoff des Bliauts schmiegte sich so eng um Philips Oberkörper, dass darunter die festen Muskeln zu erkennen waren. Noch während sie ihn musterte, bemerkte sie, wie auch er sie ansah. Ein Lächeln lag in seinen Augen, obgleich sein Mund ernst zu bleiben schien. Augen, leuchtend wie dunkler Bernstein. Sie senkte die Lider. Es war ungehörig, ihn allzu offensichtlich zu betrachten,
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