Die Sündenheilerin (German Edition)
dieses herausfordernde Blitzen, die Kampfansage, mit der Elise es jedes Mal schaffte, Lenas Gefühle in Aufruhr zu versetzen. Doch seit Lena deren Taktik durchschaut hatte, gelang es ihr auch diesmal, ruhig zu bleiben und eine Gelassenheit vorzutäuschen, die sie gar nicht besaß.
»Was sollte ich Euren Wünschen entsprechend denn tun?«
»Es geht nicht um meine Wünsche. Ich will wissen, was Ihr tätet.« Das Blitzen der Augen wurde noch mutwilliger. Lena hielt dem Blick stand.
»Ich würde versuchen, Euch vor der Todsünde zu bewahren. Niemand darf Gottes Geschenk fortwerfen.«
»Und was ist, wenn ein anderer es tut? Einem Menschen Gottes kostbarstes Geschenk raubt?«
»Ihr meint, wenn ein Mann einen anderen tötet?«
Elise nickte. »Was tätet Ihr, wenn Ihr zwei Männern im Kampf begegnen würdet, Leben um Leben?«
Fast unmerklich mischte sich das Sirren eines Schwertes in das Pochen in Lenas Schädel. Ihr Mund wurde trocken, die Übelkeit kehrte zurück. Nicht jetzt. Heilige Jungfrau, lass mich nicht in ihrer Gegenwart verwundbar werden!, betete sie im Stillen.
»Ihr findet keine Antwort, Frau Helena?«
»Welche Antwort erwartet Ihr? Dass ich versuchen würde, mich zwischen kämpfende Ritter zu werfen?«
»Das wäre heldenmütig, aber damit würdet Ihr selbst Gottes wertvollstes Geschenk fortwerfen, nicht wahr?«
»Worauf wollt Ihr hinaus, Frau Elise?«
Ein böses Lächeln umspielte die Lippen der Gräfin. »Ihr enttäuscht mich. Ich hätte erwartet, Ihr könntet es in meiner Seele lesen. Das sagt man Euch doch nach, oder?«
»Ich weiß nicht, was man mir nachsagt, aber in Euren Worten spüre ich Verbitterung und Hass. Wem gilt dieser Hass?«
»Hass nennt Ihr das?« Elise schüttelte lächelnd den Kopf. »Ihr habt wahrlich keine Ahnung, was Hass ist. Das hatte ich auch nicht, bis zu dem Tag, da Martin starb.«
Martin! Ein scharfer Schmerz durchfuhr Lenas Brust. »Welcher Martin?«
Ihr war gar nicht bewusst geworden, dass sie den Gedanken laut ausgesprochen hatte, aber schon hörte sie die Gräfin antworten. »Martin Raitbach.«
Die alte Wunde brannte, raubte Lena den Atem. In ihrem Kopf brodelte es, als wolle er zerspringen. Vor ihren Augen tanzten Schatten und zuckten Blitze.
Es polterte laut, und sie fuhr zusammen. Beim Aufspringen hatte sie den Stuhl umgestoßen. Einen Wimpernschlag lang verschwand die Überlegenheit aus Elises Augen. Erschrocken starrte sie Lena an, doch die hatte keine Kraft mehr für den Kampf. Ohne jedes Abschiedswort verließ sie Elises Stube und hastete zur Treppe, um in ihrer eignen Kammer Zuflucht zu finden.
Fast blind von den tanzenden Funken, die der Schmerz ihr in die Augen trieb, taumelte sie der Stiege entgegen und wäre um ein Haar mit jemandem zusammengestoßen. Es war der Araber, der ihr im letzten Moment auswich.
»Frau Helena«, sprach er sie an. Es war das erste Mal, dass sie ihren Namen aus seinem Munde hörte. »Braucht Ihr Hilfe?«
Sie tastete nach der Wand, fühlte, wie ihr die Knie weich wurden. Das Kleid klebte ihr feucht am Leib. Wie damals, feucht von Blut. Martins Blut. Wieder hörte sie ihres Vaters Stimme. Lauf! Sein letztes Wort. Der rotbärtige Teufel, der keine Gnade kannte.
Plötzlich fühlte sie sich aufgefangen, von einer Kraft, die sie dem schmächtigen Araber gar nicht zugetraut hatte.
»Was ist Euch widerfahren?«
Seine leisen Worte holten sie in die Gegenwart zurück. Sie atmete tief durch.
»Mir geht es schon wieder gut, ich danke Euch.«
Er hielt sie noch immer fest, ganz so, als fürchte er, sie werde in sich zusammensinken, wenn er sie losließ. Und sie war sich nicht einmal sicher, ob es nicht auch so wäre.
»Was geht hier vor? Lasst sie sofort los!« Wie eine Furie stürmte Schwester Ludovika die Treppe herunter.
»Es ist nichts«, stöhnte Lena. »Er hat mich vor einem Sturz bewahrt.« Vorsichtig befreite sie sich aus Saids Griff, der sich sofort zurückzog, die Blicke misstrauisch auf Ludovika gerichtet.
Ludovika bekreuzigte sich. »Du siehst aus, als seist du dem Tod begegnet.«
»Das bin ich wiederholt«, flüsterte Lena. »Bring mich auf meine Stube!«
Ludovika nickte und warf Said noch einen missbilligenden Blick zu, ehe sie sich bei Lena unterhakte. Fast schämte Lena sich für das Verhalten der Nonne. Ob sie sich wohl genauso gebärdet hätte, wenn Graf Dietmar an Saids Stelle gewesen wäre?
»Ich danke Euch für Eure Hilfe, Said al-Musawar«, sagte Lena. Erleichtert nahm sie wahr, wie sich seine Miene bei
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