Die Sündenheilerin (German Edition)
ihr, der alles Gute tilgt. Und ich erkenne ihre Seelenflamme kaum. Ja, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie eine hat.«
»Du glaubst, sie ist besessen?« Ludovikas Pupillen weiteten sich.
Lena verbarg das Gesicht in den Händen. »Wie kann ich das wissen? Ich kenne mich nicht aus mit dunklen Mächten. Aber wie soll ich mir ihre beiden Seiten sonst erklären? Die hilflose Kranke, die nichts als Mitleid verdient, im Wechsel mit der bösartigen Hexe, die alles tut, um mich zu verletzen.«
Ludovika setzte sich neben Lena aufs Bett und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Du bist dir sicher, dass sie Martins Namen nannte, um dich zu treffen? Weiß sie, dass du seine Witwe bist?«
Lena schwieg. Sie war zu keinem klaren Gedanken fähig.
»Erinnere dich, Lena! Schwester Margarita und die ehrwürdige Mutter schirmten dich nach dem Überfall von allem ab, um dir Frieden zu geben. Sie wollten verhindern, dass die mitleidigen und neugierigen Blicke dich verfolgten.«
Ludovika hatte recht. In den Erinnerungen der Menschen war nur von dem grausamen Überfall die Rede. Ein ganzer Hochzeitszug, niedergemetzelt vom schrecklichsten aller Räuber. Barbarossa. Welch ein Hohn, dass er ausgerechnet den Namen des großen Kaisers angenommen hatte. Ein tiefer Seufzer entrang sich Lenas Brust. Nur wenige wussten von ihrem Überleben. Zuerst hatte sie sich dagegen gewehrt, hatte es als ungerecht empfunden, vor der Welt als tot zu gelten, doch irgendwann hatte sie begriffen, dass ihr nur auf diese Weise Frieden zuteil werden konnte. Die Menschen mussten vergessen, damit sie nicht Tag für Tag durch gedankenlose Worte und falsches Mitleid an den Schrecken erinnert wurde. Sie hatte es anfangs sogar im Kloster gespürt. Manch eine Schwester hatte sich heimlich an dem wohligen Grusel entzückt, der Lenas Schicksal umgab. Natürlich stets unter dem Deckmantel tiefster Anteilnahme. Um wie vieles schlimmer mochte es wohl draußen zugehen?
Schwester Margarita hatte dafür gesorgt, dass Lenas Erbteil erhalten blieb, doch das väterliche Gut war im Namen des Klosters verpachtet worden, auch wenn die Einkünfte Lena zukamen. Die lebenslustige Braut von Martin Raitbach war an jenem Tag gestorben.
»Du meinst, sie kann es gar nicht wissen?«
Ludovika nickte. »Sie kann es nicht wissen, aber womöglich hütet sie ein Geheimnis in ihrem Herzen, das sie so sehr peinigt, dass sie andere quälen muss, um es zu ertragen. Denk an das unglückliche Gesicht des Grafen, als er sie an unserem ersten Abend an sich drückte. Wie sagte der Kaplan? Es quält Graf Dietmar fast mehr als Frau Elise.«
Nachdenklich musterte Lena ihre Freundin. »Meinst du, es ist so ähnlich wie bei unserer ehrwürdigen Mutter Clara? Ein düsteres Geheimnis der Vergangenheit, das dem Körper die Gesundheit raubt?«
»Vielleicht ist es so, doch das Leiden ist ein ganz anderes«, sagte Ludovika und stand auf, um einen Becher Milch einzuschenken. »Die ehrwürdige Mutter war stets bereit, deine Hilfe anzunehmen.« Sie reichte Lena den Becher.
Lena nippte an der Milch, frisch und dennoch angenehm kühl. Genau richtig. Mutter Claras Krankheit … Sie erinnerte sich an die heftigen Erstickungsanfälle der Äbtissin. Die Heilkundigen hatten sie mit einer Schwächung der Lungen erklärt, obgleich es keinen Anhalt dafür gab. Nur Lena hatte die fast erstickte blaue Seelenflamme gesehen und erkannt, dass die Oberin einen tiefen Kummer mit sich herumtrug, der ihr die Luft zum Atmen raubte. Erst durch die Aussöhnung mit ihrer Vergangenheit fand die Äbtissin Heilung. Doch Mutter Clara war stets offen und ehrlich gewesen, obwohl es schmerzhafte und demütigende Erinnerungen gewesen waren.
»Du hast recht, Ludovika, es lässt sich nicht vergleichen. Die Gräfin weist meine Hilfe stets zurück. Entweder mit Worten, mit Gesten oder mit Taten. Ich habe mich schon oft gefragt, ob sie vielleicht gar nicht geheilt werden will.«
»Dann frag sie einfach.« Ludovikas Antwort überraschte Lena.
»Das würde sie als Angriff werten. Ich hätte nichts gewonnen.«
»Was willst du denn gewinnen? Deinen Zweikampf mit Elise? Sie gegen ihren Willen heilen?«
»Du glaubst also auch, dass sie nicht geheilt werden will?«
»Ich weiß es nicht, ich kenne sie nicht so gut wie du. Aber vielleicht ist es an der Zeit, die Verhältnisse klarzustellen. Sie will doch etwas von dir. Nicht du von ihr.«
»Wenn das so einfach wäre…«, seufzte Lena. »Manchmal glaube ich, Elise und ich sind die Einzigen, die
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