Die Sündenheilerin (German Edition)
bekommen. Durch diese einflussreiche Verbindung wäre der alte Streit mit den Regensteinern bedeutungslos geworden.«
»Was war der Anlass für den Streit?«
»Keine große Sache, nur unangenehm.« Herr Ewald trank noch einen Schluck Wein. »Es ging von Anfang an um die Eisenerzminen. Ursprünglich war Birkenfeld nur eine kleine Wehrburg zum Schutz der Minen, ganz ohne Titel und Ländereien, aber nachdem Heinrich der Löwe Halberstadt erobert hatte, wurden die Grafschaften neu geordnet. Die Regensteiner machten sich große Hoffnungen auf eine Erweiterung ihres Einflussbereiches, aber ihre Machtgier und Skrupellosigkeit waren berüchtigt, und so erhielt der alte Otto, Dietmars Großvater, Besitz und Grafentitel. Das haben ihm die Regensteiner nie verziehen. Seither lassen sie nichts unversucht, ihre Hand doch noch auf Birkenfeld zu legen. Am schlimmsten ist Ulf, der jüngste Regensteiner. Ein Gernegroß, der sich rühmt, die sicherste Lanze zu führen, und auf Turnieren glänzt, aber sonst zu kaum etwas zu gebrauchen ist.« Ewald machte eine abfällige Handbewegung. »Einmal hat Herr Dietmar sich mit ihm gemessen. Nicht im Tjost, sondern im Buhurt. Dietmars Mannschaft gewann, aber Ulf behauptete, es sei nicht mit rechten Dingen zugegangen. Seither hatten die beiden keine weitere Begegnung mehr.«
Lena erinnerte sich an die Turniere, denen sie beigewohnt hatte. Im Tjost war das Geschick sofort zu erkennen, wenn der Unterlegene aus dem Sattel gehoben wurde. Aber im Buhurt, wenn sich eine Horde von Rittern mit stumpfen Streitkolben, Sandsäcken und Schilden attackierte, konnte man nicht viel erkennen. Gewiss, es gab einige Künstler, die ihr Pferd meisterhaft beherrschten und sich stets ins beste Licht zu setzen wussten, aber sie hatte diesem Getümmel nie viel abgewinnen können.
»Hätte Dietmar ihn im Tjost besiegt?«
»Vermutlich«, antwortete Ewald. »Er ist ein guter Streiter, wenn auch nicht ganz so talentiert, wie Otto es war. Niemand führte die Lanze so sicher wie Dietmars Bruder. Es war eine Lust, ihm zuzusehen, denn sein Arm wurde niemals müde. Zwischen zwei Gegnern pflegte er die Damen mit Galanterien zu unterhalten. Alle Herzen flogen ihm zu.«
»Ihr habt ihn sehr gern gehabt, nicht wahr?«
Der alte Mann nickte. »Sein Tod hinterließ eine große Lücke. Herr Dietmar bemühte sich nach Kräften, sie auszufüllen, aber er ist anders als sein Bruder.«
»Anders?« Lena hatte es sich wesentlich schwieriger vorgestellt, den Kaplan zum Erzählen zu bewegen. Anscheinend sprach er gern von den alten Tagen und war froh, eine geduldige Zuhörerin gefunden zu haben.
»Nun, Otto war ein Kämpfer durch und durch. Ein Ritter, über den man Legenden verbreitet hätte, wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen. Dietmar ist weniger Kämpfer, er ist mehr Stratege. Das ist oft von Vorteil, vor allem wenn er seinen Pflichten den Dorfbewohnern gegenüber nachkommt.«
»So meint Ihr, er kommt seinen Aufgaben verantwortungsvoller nach, als es Otto getan hätte?«
»Das will ich nicht gesagt haben. Er macht es eben anders.« Ewald schenkte sich einen weiteren Becher Schlehenwein ein. »Er ist den Bauern ein guter Herr.«
Warum klang es nur so, als wolle er mit dieser Bemerkung etwas entschuldigen?
Auf einmal schien es ihr geraten, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
»Ihr kennt auch Frau Elise schon sehr lange, nicht wahr? Sie erzählte mir, Ihr hättet die Ehe vermittelt.«
»Wohl wahr.« Er seufzte. »Sie war die Richtige für Dietmar, eine Person mit einem eigenen Kopf, wenngleich manchmal etwas zu beschwingt. Ich bete täglich, dass Ihr Elises Leiden heilen könnt. Es ist schaurig anzusehen, wie sehr sie sich verändert hat.«
»Hat sie sich tatsächlich erst nach der Geburt des Kindes so gewandelt?«
»Nun, sie war schon etwas sonderbar, während sie Rudolf unterm Herzen trug, doch darauf gab ich nicht viel. Frauen in anderen Umständen wird manche Tollheit vergeben, und Elise hatte viel zu lange vergeblich auf ein Kind gehofft. Einmal fand der Graf sie schlafwandelnd hoch oben auf dem Turm, gut vier Monate vor ihrer Niederkunft. Hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie womöglich in den Tod gestürzt, ohne es zu merken. Sie war auch launisch, einmal traurig, dann wieder ungewöhnlich übermütig. Sogar für sie waren diese raschen Stimmungswechsel bemerkenswert.«
»Was meint Ihr damit?«
»Nun, so ist das wohl bei schwangeren Frauen, oder?«
»Es klang, als hätte Frau Elise
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