Die Sündenheilerin (German Edition)
Körper, wenn er zu groß wurde? Wie gestern Abend? Philip hatte angesetzt, von einer Geschichte voller Leidenschaft zu berichten, einer großen Liebe. Elises Anfall war fast zeitgleich aufgetreten.
»Ihr bereut wirklich nichts?«, fragte Lena, noch während ihr die Überlegungen durch den Kopf wirbelten. »Ich erinnere mich sehr gut an Eure Verzweiflung vor einigen Tagen.«
Elise hob das Kinn und schaute auf Lena herab.
»Ich bereue nicht, Martin geliebt zu haben.«
»Wenn das in Euren Augen keine Sünde war, warum sprecht Ihr dann von Euren Sünden, für die Gott Euch straft und für die es keine Vergebung geben kann?«
Die eben noch funkensprühende Flamme verlosch.
»Geht, Frau Helena, ich bitte Euch.« Elises Stimme war leise geworden, fast ängstlich.
»Was ist Euer wahres Geheimnis?«, beharrte Lena. »Eure Liebe zu Martin? Euer gemeinsamer Sohn?«
Die Finger der Gräfin verschlangen sich unruhig ineinander.
»Es wäre besser, wenn Ihr einseht, dass Euer Bemühen in meinem Fall vergebens ist«, sagte sie. »Ihr könntet nach Sankt Michaelis zurückkehren und Eure Gabe in die Dienste würdigerer Bedürftiger stellen. Ich bin Eurer Hilfe nicht wert.«
»Ihr seid meiner Hilfe wert, Frau Elise. Und ich glaube auch, dass ich den Grund für Euer Leiden kenne.«
Die Gräfin wurde blass. »Den Grund?«
Lena nickte. »Ihr habt das rechte Maß über Eure Leidenschaften verloren. Ihr erlebt die Trauer ebenso im Übermaß wie die Freude, und daran verbrennt Ihr innerlich. Ich glaube, die Anfälle, die Euch quälen, sind ein Zeichen dafür, dass der Körper um ein Gleichmaß kämpft, welches die Seele ihm nicht mehr gewähren kann.«
Atmete Elise tatsächlich auf, während sich ihre Wangen röteten? Aber es war keine Erleichterung, wie sie eine Erkenntnis nach langem Ringen um Wissen schenkt. Es war vielmehr das Aufatmen eines Sünders, der noch einmal mit einer Lüge davongekommen ist.
»Ihr glaubt, es gebe einen anderen Grund?«, deutete Lena das Mienenspiel der Gräfin.
»Das, was Ihr mir sagt, ist nichts Neues für mich.« Elise senkte den Blick. »Die Leidenschaften waren in meiner Familie schon immer sehr ungleich verteilt. Wir waren in allem maßlos, in der Freude wie in der Trauer, schon mein Großvater, mein Vater, mein ältester Bruder und auch ich. Auf Zeiten, da uns alles gelang und wir wie auf einer Wolke des Glücks ritten, folgten Tage der Dunkelheit. Mein Bruder schloss sich jedes Mal in seiner Kammer ein und gab sich Bußübungen hin, wenn ihn die Dunkelheit ergriff. Doch bei ihm dauerte es immer nur wenige Tage. Meist überwogen die Zeiten des sich überschlagenden Glücks, die ihn in einen unbesiegbaren Ritter verwandelten. Bei mir ist das anders. Die Dunkelheit vertreibt die Freude stets sehr schnell. Das ist der wahre Grund, warum Herr Ewald mich als Frau für Dietmar empfahl. Ich war wegen meiner Abstammung eine begehrte Partie, ich hatte an meinen guten Tagen auch die rechte Kraft, alle Aufgaben zu bewältigen, die mir gestellt wurden. Und an den dunklen Tagen…nun, auch Dietmar hatte mit der Dunkelheit zu kämpfen, seit seinem Unfall. Ein Mann, der nicht in der Lage war, die Ehe zu vollziehen, konnte auf keine Frau hoffen, die gänzlich ohne Makel war. Ich hingegen durfte froh sein, einen fürsorglichen Mann zu bekommen, der bereit war, mich zu nehmen, wie ich war. Und großzügig ist er. Er hat mir bislang fast jeden Wunsch erfüllt.«
Lena ließ die Worte der Gräfin in ihren Gedanken nachklingen.
»Er hat Euch bislang fast jeden Wunsch erfüllt?«, fragte sie nach. »Welchen erfüllte er Euch nicht?«
Elise hob den Blick. »Wie kommt Ihr darauf, er habe mir irgendetwas verwehrt?«
»Ihr sagtet, fast jeden Wunsch. Das heißt, es gibt etwas, das er Euch nicht gewährte.«
»Das war so dahergesagt.« Elises Finger verschlangen und lösten sich in immer schnelleren Abständen.
Lena griff nach Elises Händen und hielt sie fest.
»Nein, das war es nicht. Welchen Wunsch hat er Euch versagt?«
Brüsk entzog die Gräfin Lena die Hände. »Vielleicht die eine oder andere Narretei, ich weiß es nicht mehr. Und nun geht bitte, Frau Helena. Ich bin erschöpft.«
Lena hatte den Mund schon zum Widerspruch geöffnet, doch Elise kam ihr zuvor.
»Geht, Frau Helena.« Die Stimme der Gräfin war hart und unmissverständlich. Für heute war der Quell ihrer Offenheit versiegt.
Doch zugleich wusste Lena, dass des Rätsels Lösung vermutlich in dem einzigen Wunsch lag, den Dietmar seiner
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