Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Kinder.
Der Mann drehte sich um und brüllte: »Ruhe!«
Die Kinder gehorchten.
Mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht wandte sich der Mann wieder Craig zu. »Tut mir leid. Die Kinder werden langsam unruhig und wir, na ja, wir haben uns verfahren.« Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen, so etwas passiere schließlich ständig und so ein armer Kerl hinter einem Straßenstand kenne ja wohl den Weg zurück in die Zivilisation.
»Wissen Sie, wie man von hier wieder auf die Route 17 kommt?«
Craig ignorierte den permanenten Schmerz, der an seinem Körper nagte, und lächelte höflich. »Tut mir leid, Kumpel. Da kann ich Ihnen nicht helfen.«
Der Mann runzelte die Stirn und auf seinem dicken, verschwitzten Gesicht bildeten sich Falten. »Was für ein Akzent ist das denn, verdammt? Kanadisch?«
Craig hätte am liebsten laut geschrien, um diesen schwitzenden, konservativen Fleischklops wissen zu lassen, welch entsetzliche Qualen er litt. Dass er das Gefühl hatte, man habe seine Eingeweide einmal umgekrempelt, und dass sein Kopf sich anfühlte wie eine zerquetschte Tomate. Aber das konnte er nicht. Nicht, wenn er jemals wieder von diesen Schmerzen befreit werden wollte, aus diesem tristen Dasein, das er fristete. »Australisch«, antwortete Craig. »Möchten Sie was für die Kinder kaufen? Oder für Ihre Frau?«
Der Mann warf einen Blick auf das Schild und sah dann wieder Craig an. Er sah aus, als habe er eben an einem Haufen Scheiße gerochen. »Machen Sie Witze, Kumpel?«
Ganz ruhig, ermahnte Craig sich. Du darfst nicht die Nerven verlieren. Es ist bestimmt seit einem Monat keiner hier gewesen. »Vergessen Sie die überfahrenen Tiere. Wie wär’s mit einer Seele?« Er sah auf die große Blechdose hinunter – sie war inzwischen noch verbeulter als damals, als Craig sie zum ersten Mal gesehen hatte – und hoffte, dass der Mann seinem Blick folgen würde.
Ich kann ihn nicht bitten, sie zu kaufen, das muss er alleine entscheiden. Aber verdammt noch mal, es hat schließlich keiner gesagt, dass ich seine Entscheidung nicht ein bisschen beeinflussen kann.
»Beschissener Irrer«, schnaubte der Mann. »Sie sollten sich schämen. Den Leuten so einen Scheiß zu verkaufen.« Er wischte sich über seine tropfende Stirn und hustete. »Und diese Mütze ist einfach widerlich – bei mir sitzen Kinder im Wagen! Und überhaupt: Wer sind Sie denn, dass Sie sich über unseren Präsidenten lustig machen? Sie sind ja noch nicht mal Amerikaner.«
Mit einem verächtlichen Blick ging der Mann wieder zurück zu seinem Kombi und fuhr davon, während die Kinder auf der Rückbank Grimassen in Craigs Richtung schnitten.
Er seufzte.
Nicht mal Amerikaner.
Stimmt.
Craig setzte sich. Die grelle Sonne blendete ihn und er wäre sicher ins Schwitzen geraten, hätte er sie spüren können. Aber alles, was er spürte, waren die Schmerzen.
Sein Blick fiel auf das Geld, das auf dem Boden lag. Seine Bezahlung. 30 Dollar für ein Leben in der Hölle.
Er hatte versucht, die Scheine zu zerreißen, sie zu verbrennen, hatte sogar versucht, das Geld zu essen. Aber ganz gleich, wie oft er auch versuchte, sie loszuwerden: Sie kamen jedes Mal wieder zurück.
Eine ständige Erinnerung.
Genau wie die Tiere in den Wäldern – unsichtbar, aber immer da. Immer abwartend.
Darauf, dass jemand ihre Dose kaufte.
Darauf, dass Craig verrückt wurde und von diesem gottverlassenen Verkaufsstand floh. Dann würden sie ihn angreifen und Rache üben. Es würde keine Rolle spielen, dass Craig die ganze Sache nicht begonnen hatte – er hatte sie fortgeführt, genau wie Almus es getan hatte.
Selbst jetzt konnte er sie lachen hören, weil sie wussten, dass er an diesen Stand gefesselt war, bis dieser eine, besondere Mensch vorbeikam.
Craig hoffte, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde.
Sicher würde doch irgendjemand eine Seele kaufen wollen.
NOTIZEN ZUR ENTSTEHUNG:
Diese Geschichte habe ich mit den alten EC Comics im Hinterkopf geschrieben. Sicher haben Sie schon einmal von in den Fünfzigern erschienenen Serien wie Tales from the Crypt oder The Vault of Horror gehört. Ich bin selbst eine ganze Weile durch die USA gereist, deshalb dachte ich, es wäre interessant, wenn auch meine Hauptfigur kein Einheimischer wäre – auch wenn mir auf meinen Reisen nichts auch nur annähernd so Bizarres begegnete wie der Straßenstand in dieser Story. Mein dritter Roman, Die Bestien, spinnt diese Idee übrigens weiter. Wenn Sie also noch mehr von
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