Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
saß, lachte und nickte heftig mit dem Kopf. Aleister war sich sicher, dass er noch nie eine bemitleidenswertere Kreatur zu Gesicht bekommen hatte.
Aleister hob seine Hand.
»Ja, mein Sohn?«, erteilte ihm der Erlöser das Wort.
»Wann gibt’s den Whiskey?«
»Bald, mein Sohn. Sehr bald.«
Aleister lief das Wasser im Munde zusammen.
»Ich nehme einen Whiskey Sour, bitte«, sagte Jack.
»Oh, für mich einen Mint Julep«, meldete sich die Königin des Broadway zu Wort.
»Später«, sagte der Erlöser und ließ seine Schultern sinken. »Später, später, später, später, später!«
Aleister schämte sich ein wenig, weil er den Erlöser verärgert hatte. »Tut mir leid, mein Erlöser«, sagte er. »Bitte mach weiter.«
Das schien den alten Mann ein wenig aufzuheitern. Er richtete sich wieder auf. »Vielen Dank, Mr. Donaldson.«
»Die Verhandlung hat begonnen«, sagte Richter Stevens.
Der Erlöser entfernte sich von der Bar und steuerte auf eines der schmutzigen Fenster zu, die mit Drahtgittern verkleidet waren, vermutlich, um Vandalen abzuhalten – oder um uns drinnen festzuhalten! – und sein langer, zerfetzter Mantel flatterte beim Gehen hinter ihm her. Er schaute hinaus. Die anderen warteten, bis der Erlöser wieder seinen Platz vor der Bar eingenommen hatte. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Apokalypse ist nah. Draußen wird es bereits dunkel.«
Aleister schielte auf seine Uhr. Es war erst halb zwölf Uhr mittags. Sein Blick blieb wieder am Fenster hängen und er musste zugeben, dass es draußen tatsächlich ziemlich finster aussah. Dann jedoch erinnerte er sich, dass die Scheibe auf eine Gasse blickte. Außerdem war sie von einer dicken Schicht aus Staub und Schimmel bedeckt.
Armer Irrer.
»Alle ab in den Keller«, forderte der Erlöser sie auf.
Das klingt schon besser. Keller bedeutet Alkohol!
Aleister erhob sich zusammen mit den anderen Pennern. Sie schienen alle ziemlich verblüfft zu sein – alle bis auf den Erlöser natürlich.
»Okay, Doreen, du gehst vor.«
Doreen also.
Aleister beobachtete, wie sich die schwarze Frau in Bewegung setzte, die die ganze Zeit über kein Wort gesagt und sich noch nicht einmal gerührt hatte. Ihr folgte Richter Stevens, dann Pfirsich, dann die Broadway Queen und schließlich Jack, während Aleister die Nachhut bildete. Der Erlöser fiel hinter Aleister zurück und griff nach seinem unsichtbaren Glas, wie um es mitzunehmen, als er sich von der Bar entfernte.
Kurz darauf blieb Doreen vor einer Tür stehen, die sich im hinteren Teil der Kneipe befand. Sie öffnete sie und ging hindurch.
Hier versteckt sich also die Treppe, dachte Aleister.
Er blieb stehen, als er die Tür erreichte. Kurz vor den Stufen, die endlos tief in den Keller hinabzuführen schienen, befand sich ein schmaler Treppenabsatz.
Aleister drehte sich um und sah den Erlöser an. »Da unten ist der Whiskey, richtig?«
»Natürlich«, versicherte der alte Mann. Sein Atem umhüllte Aleisters Kopf mit heißen, überwältigenden Dämpfen. »Da unten sind eine Menge Dinge – Essen, Wasser, Betten. Alles, was wir brauchen, um mindestens zwei Monate lang durchzuhalten.«
Aleister hatte das Gefühl, jemand habe seinem Körper sämtlichen Atem geraubt. »Z… zwei Monate?«
Der Erlöser nickte. »Haben Sie mir denn nicht zugehört, Mr. Donaldson? Wir werden dort unten ausharren, während die Welt den Rest der Menschheit zerstört. Wir müssen anschließend eine Weile warten, bevor wir wieder herauskommen können, damit die Welt auch wirklich sicher für uns ist. Ich glaube fest daran, dass Er uns ein Zeichen geben wird, wenn es an der Zeit ist, herauszukommen.«
Aleisters Kehle fühlte sich völlig ausgetrocknet an – er brauchte dringend Alkohol.
»In der Zwischenzeit werden wir gemeinsam singen, uns Geschichten erzählen, essen und trinken wie die Könige und uns natürlich fortpflanzen.«
Aleister starrte auf die endlose Treppe hinunter. Mit einem Mal wurde ihm das volle Ausmaß dessen bewusst, was diese Irren eigentlich vorhatten. Zum ersten Mal, solange er zurückdenken konnte, war das Schwindelgefühl, das er verspürte, nicht auf exzessiven Alkoholgenuss zurückzuführen.
»Ihr seid verrückt«, keuchte er. »Ihr seid allesamt beschissene, vollkommen durchgeknallte Penner. Die Welt geht nicht unter. Um Himmels willen, wir sind hier in einer verlassenen Kneipe in Manhattan. Die Welt da draußen mag ja vielleicht beschissen und trostlos sein – ich schätze ihr Typen seid der
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