Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Film und Videobänder spritzten, Bänder rauchten, zerkrümelte DVDs und Laserdiscs schnupften, Unmengen verflüssigter Videobänder tranken und nach ihren Krügen mit Video-Bier auch noch Schnapsgläser mit flüssigem Film leerten. Und es gab besonders wilde Partylöwen, die sich Pillen einwarfen, die aus einer Mischung von allem bestanden: Das waren vor allem die Leute, die sich im Kino nur die größten Hollywood-Blockbuster anschauten – keine echten Cineasten. Im ganzen Land veranstalteten die Geschäftsführer der Videotheken heimliche Filmpartys, auf denen Süchtige sich treffen und in einem Raum voller Drogenutensilien Filme anschauen und ihren diversen Lastern frönen konnten. Das waren die schäbigeren Versionen der exklusiven Feten der Studiobosse.
Es entstand eine populäre, hin und wieder sehr leidenschaftliche Untergrundszene, aber für mich wurde schließlich alles zu viel. Vor ein paar Wochen stellte ich fest, dass meine Haut allmählich eine matschbraune Färbung annahm, so als habe jemand meinen ganzen Körper mit Dreck eingerieben. Kurz darauf fühlte sie sich dann irgendwie seltsam an, wie Plastik, aber trotzdem biegsam – ganz ähnlich wie Videobänder. Und dann liefen plötzlich Bilder vor meinen Augen ab, so als sei mein Gehirn an einen Filmprojektor angeschlossen – ein konstanter Strom von Bildern, die mitten im Raum zu hängen schienen und es schwierig machten, zu unterscheiden, was sich in der wirklichen Welt abspielte und was in meinem Kopf.
Aber am furchteinflößendsten von allem war der Schmerz in meiner Brust, den ich am Tag zuvor zum ersten Mal verspürt hatte. Ich hatte fast 40 Kilogramm zugenommen, seit ich angefangen hatte, DVDs und Videobänder zu essen. Es schien, als habe mein Körper nun endgültig genug davon. Als ich zum Mittagessen Der Unbeugsame verschlang, den Geschmack von Eiern und Bier auf meinen Lippen, hatte ich mit einem Mal das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Mein Herz schlug Purzelbäume und in meiner Brust pulsierte ein heftiger Schmerz.
Völlig panisch warf ich das restliche Stück der DVD in den Mülleimer und schwor mir, nie wieder Filme zu mir zu nehmen. Ich sah mich online nach einer Selbsthilfegruppe um und fand eine ganz in meiner Nähe. An diesem Abend war ich zum ersten Mal zu einem Treffen für trockene Filmoholiker gekommen. Während ich hier so stand und meinen Kaffee schlürfte, beschlich mich das Gefühl, dass es auch das letzte Mal sein würde.
Ich warf den leeren Becher in den Mülleimer und seufzte beim Gedanken an die Aufgabe, die mich zu Hause erwartete. Ich hatte damit angefangen, meine riesige DVD- und Videosammlung wegzuwerfen, aber es war immer noch gut die Hälfte davon übrig. Alles in allem handelte es sich um nahezu 500 DVDs und Videos.
Beim Gedanken an all das Essen lief mir das Wasser im Munde zusammen.
»Ich sollte dann besser mal nach Hause gehen«, wandte ich mich an den Junkie. »Ich muss noch den Rest von meinem Vorrat wegschmeißen.«
Der Junkie lächelte, aber es war kein schöner Anblick. »Ich kenne diesen Schmerz. Ich hab mich immer noch nicht ganz davon erholt, dass ich meinen ganzen Stoff wegwerfen musste. Ich, äh, nehm’ nicht an, dass du Hilfe brauchst?«
Mein erster Instinkt war, Nein zu sagen. Ich kannte den Typen doch kaum. Außerdem wollte ich nicht, dass irgendjemand sah, wie ich heulte, wenn ich meine geliebte Sammlung in die Tonne donnerte.
»Würde die ganze Sache entschieden schneller machen. Und einfacher. Ich hab das Gleiche durchgemacht. Ich weiß, wie schwer das ist.«
Ich dachte über sein Angebot nach und beschloss, dass es tatsächlich gut wäre, jemanden dabei zu haben, der meine Sucht verstand. »Sicher, warum eigentlich nicht?«, erwiderte ich. »Danke.«
»Kein Ding. Wohnst du weit weg?«
»Nur zehn Minuten Fahrt.«
»Super. Ich fahr dir nach.«
Während wir auf die Tür zugingen, schaute ich mich um und stellte fest, dass der Saal inzwischen beinahe leer war. Die meisten anderen Esser, Junkies, Alkoholiker und Raucher waren bereits gegangen. In dem leeren Gruppenheim der Pfadfinder hallten unsere Schritte wie in einer hohlen Muschel wider.
Wir traten in die warme Nachtluft hinaus. Samurais ritten auf Pferden durch einen dichten Vorhang aus Regen an uns vorbei.
»Du hast nicht zufällig Wild at Heart auf Video?«, fragte der Junkie, kramte ein Feuerzeug hervor und knipste es an.
»Zufällig habe ich den tatsächlich.«
»Ich liebe diesen Film. Bei dem fängt mein
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