Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
interessiert. Ich bin eher … na ja, ich schätze, man könnte sagen, ich habe keine Angst vor Nadeln.«
Ich nickte und trank einen weiteren Schluck von meinem Kaffee. Dieser Typ hatte recht – der Kaffee löste keinen Würgereflex bei mir aus.
»Ich bin jetzt seit fast einem Monat clean. Der härteste verdammte Monat meines Lebens. Ich vermisse es immer noch. Gott, wie ich es vermisse. Der schwarze Film, der wie Tinte durch meine Venen strömt …« Der Junkie seufzte und gönnte sich einen üppigen Schluck Koffein. »Alte VHS-Videos waren die Droge meiner Wahl, besonders die Horror- und Actionfilme aus den Achtzigern. Die hatten dieses gewisse Etwas. Die haben mir einen Kick gegeben, das glaubst du nicht.« Der Junkie lächelte und ich hatte Angst, seine Wangenknochen würden seine Haut aufschlitzen.
»Hast du’s je mit Filmrollen versucht? Ich hab gehört, das soll der ultimative Kick sein.«
Der Junkie nickte. »Ein paarmal. Ich konnte mir Filmrollen nicht leisten, deshalb bin ich nur bei sehr seltenen Gelegenheiten in den Genuss dieses goldenen Rausches gekommen, wenn ich es schaffte, eine Einladung zur exklusiven Party irgendeines Filmproduzenten zu ergattern.«
Ich hatte schon von diesen Partys gehört. Ich war selbst nie auf einer gewesen, aber anscheinend bekamen die Gäste dort die allerbesten Filme serviert: die saubersten, ursprünglichsten Kopien von Fellini, Buñuel und Scorsese, teure DVD-Importe aus Japan und Italien, seltene Laserdiscs und schwer zu findende Videos – VHS und Beta gleichermaßen. Ja, diese exklusiven Partys waren angeblich der Traum eines jeden Kino-Junkies. Allein der Gedanke daran, eine dieser teuren asiatischen DVD-Boxen von Grindhouse zu verschlingen, ließ mein Herz schneller schlagen und in meinem Kopf drehte sich alles.
»Ich sag dir, Film schlägt alles. Ich meine, Videobänder sind gut. Sie sind die Droge der Wahl für die Arbeiterklasse. Aber Zellophan … Mann, wenn das erst mal runtergekocht ist, sieht es aus wie samtweiche Schokolade – nichts zu sehen von der Grobkörnigkeit der Videobänder. Aber ich hab das alles aufgegeben. Es hat mein ganzes Leben bestimmt. Ich musste aufhören. Sonst hätte es mich umgebracht.«
Ich wusste, wie sich dieser Junkie fühlte.
Ich hatte in den vergangenen vier Monaten Tag und Nacht, zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, nur Videobänder und DVDs gefuttert. Das forderte seinen Tribut, denn ich nahm stark zu. Videobänder und DVDs haben erstaunlich viele Kalorien. Auf die Toilette konnte ich im besten Fall nur noch unregelmäßig gehen – und was dann aus mir herauskam, war erschreckend: eine seltsame Mischung aus metallischem Schlamm und klumpigem Stuhl.
Aber ich konnte einfach nicht damit aufhören.
Von jenem Moment an, als ich meine erste DVD gekostet hatte – aus Versehen, während ich versuchte, einige Flecken von meiner Kopie von Der Pate mit dem Zeigefinger wegzuwischen –, war ich süchtig danach. Anstatt nach Nichts oder einer vage metallischen Note schmeckte die DVD wie ein köstliches Rinderfilet mit einer Soße aus Rotwein und Champignonrahm. Und als ich ein Stück abbrach und darauf herumkaute, schmeckte sie sogar noch besser. Schon kurze Zeit später plünderte ich meine Sammlung und verspeiste an nur zwei Tagen meine komplette John-Waters-Box – billig, aber lecker, wie ein Cheeseburger oder Pizza. Meine Chaplin-Filme verschlang ich in einer wahren Orgie binnen weniger Stunden – wie warmen Apfelkuchen –, während ich mir meine John-Hughes-Sammlung als Mitternachtssnack schmecken ließ. Die DVDs besaßen ein überraschend italienisches Aroma.
Außerdem fing ich an, Dutzende meiner alten Videokassetten auseinanderzunehmen und die Bänder zu verspeisen. Auch wenn sie mich nicht ganz so befriedigten wie die DVDs – sie verfügten einfach nicht über denselben reinen Geschmack und schmeckten hin und wieder ein wenig abgestanden –, hielten sie doch entschieden länger vor und boten eine ganz eigene Geschmacksnote: erdig und robust wie selbst gekochte Erbsensuppe oder Frikadellen. Ein paar von ihnen brachten sogar einen Unterton von Popcorn mit, hauptsächlich die Actionstreifen aus den 80ern, beispielsweise Running Man oder Die City-Cobra .
Ich konnte nicht genug davon kriegen und musste unbedingt stapelweise Filme konsumieren.
Irgendwann stieß ich auf ein Internetforum mit anderen Filmsüchtigen und erfuhr, dass die Sucht mit dem Essen noch längst nicht zu Ende war. Dort gab es Leute, die sich
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