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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Tierblut getrunken, um den Mangel auszugleichen. Da haben wir es heutzutage doch sehr viel besser.«
    Angeekelt verzog der Junge die Lippen.
    »Und was geschähe erst mit all unserer Nahrung?«, fuhr Bartolo fort. »Fisch und Fleisch, Milch und Käse – alles würde binnen Kurzem verderben. Nicht umsonst heißt das Salz daher ja auch weißes Gold. Ohne Salz – kein Leben.«
    Er holte seinen Napf wieder heran, löffelte eine Weile schweigend. Mario saß ihm zusammengekauert gegenüber, mit hochgezogenen Schultern, und rührte seine Suppe nicht an.
    »Schmeckt es dir nicht?«, fragte Bartolo kauend. »Du hast Silvas Suppe ja noch nicht einmal versucht!«
    »Schon. Ich esse nur nicht so gerne etwas, von dem ich nicht genau weiß, was es ist«, erwiderte der Junge leise. »Und das hier sieht in meinen Augen ziemlich merkwürdig aus.«
    »Merkwürdig? Das, was vor dir steht, sind Köstlichkeiten, die das Meer uns schenkt«, sagte Bartolo. »Probier einfach – du wirst es mögen!«
    Mario spielte weiterhin unentschlossen mit seinem Löffel. Dann tauchte er ihn ein und führte schließlich ein winziges Stück Muschel zum Mund.
    »Oder ist es eigentlich etwas ganz anderes, das dir nicht schmeckt?«, fragte Bartolo. »Dass du deinen Vater erwähnt hast, beispielsweise? Seitdem schaust du nämlich so seltsam drein. Wieso habt ihr über meine Saline geredet?«
    Abwehr und Angst mischten sich in Marios Zügen.
    Jetzt hielt er den Kopf tief gesenkt, wagte nicht mehr, Bartolo in die Augen zu sehen.
    »Ich darf nicht darüber reden«, brachte er schließlich hervor. »Ich hab es ihm versprechen müssen.«
    »Wem? Deinem Vater?«
    Der Löffel vollführte einen unsicheren Bogen.
    »Worüber darfst du nicht reden? Sieh mich an, Junge! Und jetzt endlich heraus mit der ganzen Wahrheit – und zwar auf der Stelle!«
    Die goldenen Augen waren mit Tränen gefüllt. Aber über Marios Lippen kam kein einziger Laut.
    »Soll ich es dir sagen? All seine Bemühungen sind fehlgeschlagen, ist es nicht genau so gewesen? Ulrich Lauinger konnte nicht in den Salzhandel einsteigen, so wie er es sich immer erträumt hatte. Vielleicht ja auch, weil Albas Mitgift fehlte, mit der er zunächst gerechnet und die sie durch ihre heimliche Flucht aus Siena verwirkt hatte. Er hat sich angestrengt und angestrengt, aber es wollte ihm nicht gelingen. Zum Schluss war er so verbittert, dass er dem Handel mit anderen Waren gar keine Bedeutung mehr zumaß.«
    Ein winziges Nicken, mehr nicht. Man hätte man meinen können, der Junge sei zu einer Salzsäule erstarrt.
    »Das hat sie langsam umgebracht, meine kluge, wunderschöne Alba«, sagte Bartolo. »Diese andauernde Trostlosigkeit – und nicht erst das dritte Kind, das auch nicht leben wollte. Ganz langsam ist sie gestorben in dieser düsteren Enge, jeden Tag ein bisschen mehr, weil ihr das Licht und die Weite und der tiefblaue Himmel Sienas gefehlt haben. Dein Vater hat sie sicherlich betrauert. Das sei ihm durchaus zugestanden, denn geliebt hat er meine Alba wohl. Was ihn freilich nicht gehindert hat, flugs nach ihrem Ableben eine neue Frau zu freien – und weiterhin seinem Wahn nachzujagen.« Mit funkelnden Augen sah er Mario an. »Das Salz hat ihn zerstört, habe ich recht? Das Salz hat ihn fast an den Bettelstab gebracht. Regelrecht besessen ist dein Vater davon, so besessen, dass er sogar seinen einzigen Sohn opfert, um nur endlich an das zu kommen, was er …«
    Mario sprang auf, presste die Hand vor den Mund und stürmte hinaus.

    ❦

    Die Lider konnte sie zusammenkneifen, damit kein Lichtstrahl dahinterdrang, doch sich die Ohren zuhalten, das konnte Gemma nicht, denn ihre Arme und Beine waren gefesselt, und sie war zudem noch mit einem Strick an die Füße eines Stuhls gebunden. Anfangs, als sie versuchte, vor Empörung zu schreien, hatte Lupo ihr einen Knebel in den Mund gestopft, einen widerlichen Lumpenball, an dem sie beinahe erstickt wäre. Ihre hervorquellenden Augäpfel jedoch hatten ihn offenbar beunruhigt, und so hatte er sie schließlich wieder davon befreit.
    »Sie kommen ohnehin nicht.« Sein blasses, flächiges Gesicht war schweißnass. »So laut du auch brüllst, niemand wird kommen und dir helfen. Du bist ganz in meiner Gewalt – besser, du gewöhnst dich so schnell wie möglich an diesen Gedanken, denn so wird es bleiben bis zum Ende deiner Tage!«
    Dass inzwischen die gesamte Dienerschaft ausgetauscht worden war, hatte Gemma gleich am Morgen nach ihrer unfreiwilligen Ankunft im Haus

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