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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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führten, wo sie übernachten würden. »Sicher hast du doch Durst.«
    Es war kein richtiges Dorf, sondern eher eine zufällige Ansammlung niedriger, wind- und wettergebeutelter Häuser, deren rauer Tuffstein vom Meersalz angefressen war. Mario schüttelte den Kopf und starrte wieder auf die flachen Wasserbecken, die durch schmale Lehmpfade voneinander getrennt waren.
    »Ich kann gar kein Salz sehen.« Seine Stimme klang brüchig. »Nur überall diese seichten Wasserfelder, die mich irgendwie an ein Schachbrett erinnern.«
    »Noch etwas Geduld«, sagte Bartolo. »Dann werde ich dir die ganze Anlage ausführlich erklären.« Er wandte sein Gesicht zum Wasser und leckte sich über die Lippen. Da war er wieder, jener Geschmack, den er schon seit Jugendtagen kannte! Eine Mischung aus Herbem und Bitterem, etwas, das auf der Haut brannte und an die Sehnsucht erinnerte, die sich niemals zur Gänze erfüllte und dennoch gleichzeitig so guttat.
    Zu seiner Überraschung ahmte der Junge ihn nach, konzentriert, beinahe hingebungsvoll. »Jetzt müsste mein Vater bei uns sein«, sagte er. »Das hier würde ihm gefallen! Mein armer Vater, der das Salz so sehr …« Er verstummte, wirkte plötzlich verlegen.
    »Dein Vater kennt diese Anlage«, sagte Bartolo. »Und viele andere dazu, darauf möchte ich wetten! Aber was hat ihm das schon geholfen, wo ihr jenseits der Alpen das weiße Gold doch aus dem tiefsten Inneren der Berge holt? Ulrich hat sich gründlich an der Küste umgesehen, bevor er nach Siena ritt und auf die unselige Idee verfiel, mir meine Nichte zu rauben. Es kam mir damals vor, als suche er mit aller Macht nach einer Möglichkeit, um in den hiesigen Salzhandel einzusteigen. Dabei hätte ich ihm gleich sagen können, dass dies für einen Fremden an unserer Küste nahezu unmöglich ist. Es gibt nicht nur das altverbriefte Privileg der verschiedenen Städte, sondern darüber hinaus ein äußerst kompliziertes System von Einzelvereinbarungen, das man kaum versteht, auch wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat.«
    Er verstummte. Zu stark war auf einmal die Macht der Erinnerung. Wie abgrundtief er diesen tedesco gehasst hatte, der die großzügig gewährte Gastfreundschaft dazu missbraucht hatte, um sich insgeheim an die blutjunge Alba heranzumachen! Jahrelang waren Groll und Ablehnung in Bartolo stark und lebendig geblieben. Dann aber hatte Ulrich Lauinger seinen Sohn Mario als Friedensengel über die Alpen geschickt, der mit Zahlen so behände umzugehen wusste wie andere mit Jonglierbällen. Diesen außergewöhnlichen Jungen mit den goldenen Augen und den unbeholfenen Gesten, die Bartolo inzwischen so rühren konnten, dass er manchmal fast schon Angst bekam.
    Wie ernst er jetzt schon wieder dreinschaute! Und wie erbärmlich verschwollen sein Gesicht war, auf dem als dicker, gräulicher Belag Staub klebte! Doch vermutlich sah er selber kein bisschen besser aus. Bartolo sehnte sich nicht umsonst nach einem Bad und frischer Kleidung.
    »Als Erstes werden wir warmes Wasser bestellen«, sagte er, »um uns den Schmutz von Körper und Seele zu spülen. Du wirst sehen, wie gut das tut! Und anschließend machen wir uns über die würzige Fischsuppe her – das ist nämlich die hiesige Spezialität.«
    Wieder einer dieser waidwunden Blicke.
    Mario war ungewöhnlich schamhaft, das war Bartolo unterwegs stets aufs Neue aufgefallen. Trotz der Wärme behielt er hartnäckig Wams und Schecke an, anstatt wie sein Großonkel hemdsärmelig zu reiten, wenn die Sonne auf sie herunterbrannte. Standhaft weigerte er sich, sein Wasser am Wegrand abzuschlagen, wie alle anderen Reisenden es unterwegs taten, sondern er rannte jedes Mal bis weit hinter die Böschung, um sicherzugehen, dass auch niemand ihm zusehen konnte.
    Ob sie in diesem schwierigen Alter alle so waren, bevor sie richtige Männer wurden? Bartolo konnte sich nicht entsinnen, dass er selber jemals solche Anstalten gemacht hätte. Und bei anderen Lehrlingen, die früher bei ihm gewohnt hatten, waren ihm derartige Eigenheiten ebenfalls nie aufgefallen. Doch keiner von ihnen war schließlich Mario gewesen, sein Mario, den er inzwischen wie einen Sohn liebte.
    Er beschloss, Marios Verhalten wie bisher zu übergehen, sorgte jedoch dafür, dass der Junge in der Herberge ein eigenes Zimmer bekam, was diesen ungemein zu erleichtern schien. Sogar dann noch, als sich der Raum bei genauerer Betrachtung als winziger, glutheißer Verschlag entpuppte. Plötzlich begann Mario wieder zu

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