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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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mied die Nähe Micheles, soweit sich das einrichten ließ, um durch seine irritierende Gegenwart nicht noch mehr in Versuchung zu geraten, was ihm allerdings bereits missbilligende Blicke und bissige Bemerkungen des Freundes eingetragen hatte.
    »Wenn du glaubst, du schaffst es inzwischen alleine, Kleiner«, sagte Michele säuerlich, »dann soll es mir auch recht sein. Aber komm bloß nicht wieder angerannt, sobald du in neuerlichen Schwierigkeiten steckst!«
    »Aber ich wollte doch nur …«, versuchte Giovanni sich
    zu verteidigen und verstummte, weil er merkte, wie lahm und kindisch es klang. »So hab ich das nicht gemeint, Michele!«
    »Was wir beide meinen und wollen, ist ganz und gar unwichtig. Wir sind die Engel des Predigers. Und allein sein W ort gilt!«
    Daran musste Giovanni denken, als der Junge neben ihm mit einem Stemmeisen die Tür des Versammlungsraumes der Contrade Onda bearbeitete. Der Engel war zwar größer und um einiges stärker als Giovanni, aber kein bisschen geschickter; immer wieder glitt das Werkzeug aus seinen schweißnassen Händen – und die Türe blieb nach wie vor verschlossen.
    Als er abermals ansetzte, öffnete sie sich jedoch plötzlich. Die beiden jugendlichen Einbrecher erstarrten und sahen sich mit einem schlanken, gut gekleideten Mann konfrontiert, dessen Züge blanke Wut entstellte. In seiner Rechten hielt er ein Messer, und alles deutete darauf hin, dass er im nächsten Augenblick damit auf einen von ihnen einstechen würde.
    Plötzlich jedoch weiteten sich seine Augen, und er ließ die Waffe sinken. »Giovanni!«, rief er. »Ausgerechnet du?«
    Der Junge neben Giovanni nutzte die günstige Gelegenheit, um abzuhauen, während Letzterer wie erstarrt verharrte. Vor ihm stand Savo Marconi, der engste Freund seines Vaters.
    »So weit ist es schon mit dir gekommen!« Der Apotheker schüttelte den Kopf. »Dabei hab ich dich bisher stets gegenüber deiner Mutter verteidigt. Das seien nichts als Jugendtorheiten, hab ich Bice versichert, die sicherlich bald vergehen würden. Dein Sohn wird schon noch zur Vernunft kommen! Und jetzt besitzt du die ungeheure Dreistigkeit, mit einem Komplizen ausgerechnet im Haus meiner Contrade einzubrechen …«
    Giovanni spürte Micheles geschmeidige Gegenwart in seinem Rücken mehr, als dass er den Freund wirklich bewusst gesehen hätte. Doch dessen Knüppel sauste jetzt mit aller Wucht auf Marconi herab und fällte ihn wie einen jungen Baum. Der Apotheker blieb reglos auf dem Lehmboden liegen; Blut floss aus einer Platzwunde über dem linken Auge.
    »Wir müssen ihm helfen!«, sagte Giovanni verzweifelt. »Ich kenne ihn. Mein ganzes Leben war er für mich so etwas wie ein Onkel. Sieh doch nur – er ist schwer verletzt und bewegt sich nicht mehr!«
    »Vergiss diese Lappalie!«, befahl Michele, der in den Raum stürmte und sich überall umsah. Er riss die Truhen auf, bückte sich, um unter die Bank zu schauen. »Daran stirbt man nicht gleich. Kümmere dich lieber um das einzig Wichtige: Wo haben sie das verfluchte Geld versteckt? Wenn das fast so etwas wie dein Onkel ist, musst du dich doch hier gut auskennen!«
    Auch ohne Giovannis Hilfe, der kein Glied zu rühren vermochte, entdeckte er rasch die Holzkassette, die unter einem Tuch in einer Nische verborgen gewesen war.
    »Du nimmst sie in Verwahrung!«, befahl er und klemmte sie Giovanni unter den Arm. »Und liefere sie ja zuverlässig ab, sonst kannst du was erleben! Ich sichere inzwischen unseren Rückzug.«
    Welchen Rückzug?, wollte Giovanni noch fragen, da sah und hörte er sie bereits kommen, die anderen contra daioli, die der ungewohnte Tumult offenbar aus den umliegenden Häusern getrieben hatte. Sie hatten wohl zur Bewaffnung alles zusammengerafft, was ihnen in den Weg gekommen war, denn sie waren mit Stöcken und Knüppeln bewaffnet, und einer hatte sogar eine Lanze in der Hand.
    »Nimm deine Beine unter die Arme – und lauf!«, schrie Michele. »Jetzt kannst du zeigen, was du bei uns gelernt hast, Kleiner!«
    Giovanni gehorchte, ohne nachzudenken, und rannte so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die Kassette spürte er schon nach einigen Schritten nicht mehr, obwohl sie schwer wie ein Felsbrocken war, so dankbar war er, dass die Meute der Verfolger sich offenbar Michele an die Fersen heftete und nicht ihm.
    In einem kleinen Innenhof blieb er schließlich keuchend stehen. Was sollte er tun? Abwarten, bis es dunkel geworden war, und erst dann versuchen, sich im Schutz der Nacht zu

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