Die Sünderin von Siena
lächeln und zu reden, verschwand blitzschnell, als hätte er nur darauf gelauert, und kehrte nach einer Weile fröhlich und sichtlich sauberer zurück. Bartolo drängte ihm noch einige Becher Wasser auf, dazu ein dickes Stück Brot, satt mit dem grünlichen Olivenöl der Küstenregion getränkt, damit er bei Kräften blieb.
Seite an Seite machten sie sich anschließend auf den Weg zu den Salinen. Die flirrende Mittagshitze, die Wasser und Himmel ineinanderfließen ließ, als seien sie in untrennbarer Liebe verbunden, hatte sich inzwischen gelegt. Es war noch immer sonnig und sehr warm, doch jetzt war eine sanfte Brise aufgekommen, die Erfrischung brachte.
Der Junge starrte gebannt auf die leise gekräuselten Wellen, die zum Ufer hin in zartem, an manchen Stellen fast bis ins Weißliche gehendem Türkis ausliefen, während weiter draußen ein sattes Azur dominierte. Ungeduldig wollte Bartolo ihn schon zum Weitergehen auffordern, da fiel ihm ein, dass es ja für Mario das erste Mal war, dass er diese Pracht zu sehen bekam, und er ließ den Jungen in Ruhe schauen und staunen.
»Bist du jemals zur See gefahren?«, hörte er ihn nach einer ganzen Weile murmelnd fragen.
»Allerdings! Und ich kann dir verraten, es war ganz und gar nicht meine Sache. Tagelang auf diesen schwankenden Brettern, Sonne, Wind und Regen schutzlos ausgeliefert – was hab ich jedes Mal der Madonna für inbrünstige Dankgebete gewidmet, wenn ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte!«
»Aber man ist doch auch den Sternen ganz nah, wenn man nichts als Wasser unter sich hat«, sagte Mario mit nachdenklichem Gesicht. »Das jedenfalls stelle ich mir sehr schön vor.«
»Den Sternen – und jeder Menge gefräßiger Fische, die nur darauf warten, dich zwischen ihre hungrigen Kiemen zu bekommen! Zum Seefahrer muss man geboren sein. Diese Leidenschaft saugt man spätestens mit der Muttermilch ein. Lass deshalb lieber auch künftig die Leute aus Pisa und Genua die weiten Meere befahren! Echte Sieneser wie du und ich gehören zur Kategorie der Landmenschen.«
Mario schaute ihn strahlend an. Es schien ihm zu gefallen, dass Bartolo sie beide in einem Atemzug genannt hatte.
»Siehst du die kleinen Schleusen?«, fragte Bartolo, der sich nun wieder den nützlichen Dingen zuwenden wollte. »Mit ihrer Hilfe wird der Zulauf von Meereswasser in die Salzfelder reguliert. Jedes der Becken ist übrigens mit einer kompakten Tonschicht ausgelegt, die Frühling für Frühling kontrolliert und meistens leider auch ausgebessert werden muss. Hierbei sparen zu wol len könnte sich schon im Herbst als sehr teuer herausstellen.«
Mario kniff die Augen zusammen. »Da besteht ein leichtes Gefälle zwischen den einzelnen Becken«, sagte er. »Oder täusche ich mich?«
»Gut beobachtet!« Bartolos Brust weitete sich voller Stolz. Aufmerksam auf Einzelheiten einzugehen, gehörte zum Handwerkszeug eines guten Kaufmanns. Nur wer sich dafür nicht zu schade war, konnte es dauerhaft zu etwas bringen. »Damit regelt man die Wasserzirkulation. Ansonsten bleibt nur, auf gutes Wetter zu warten, das heißt, viel Sonne, wenig Regen und eine leichte Brise. Wenn das Wasser verdunstet, kann sich das verbleibende Salz in Kristallform ablagern.«
»So ist also der liebe Gott verantwortlich dafür, wie groß deine Salzernte ausfallen wird«, sagte Mario.
Zu welchen erstaunlichen Schlüssen dieser Junge immer wieder kam! Gerührt wandte Bartolo sich ihm zu. »Wenn du so willst – ja. Er sorgt schließlich auch dafür, dass der Weizen wächst, dass die Trauben reif werden und dass wir saftige Früchte zu essen bekommen. Weshalb sollten dann das Meer und die Ernte daraus nicht zu seinen Obliegenheiten gehören?«
»Und wenn er es doch versehentlich einmal zu viel regnen lässt?«, wollte Mario wissen. »Was dann?«
»Dann allerdings verringert sich die Ernte auf dramatische Weise. Denn das Salzwasser wird durch den Regen verdünnt und die Ausbeute verringert sich entsprechend. Siehst du diese langstieligen Holzschieber, die die Männer so gleichmäßig über den Boden führen? Höllisch achtsam müssen sie dabei sein, sonst finden sich später winzige Tonpartikel im Salz – und niemand will es essen.«
Mario nickte.
»Die Schieber nennt man ghevar . Damit recht man das Salz zusammen«, fuhr Bartolo fort. »Dafür braucht man Fingerspitzengefühl, und es geht mächtig auf die Augen, weil die Sonne die weißen Kristalle noch gleißender macht. P anira heißt der Holzkorb,
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