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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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angehen! Erst werden Bernardos Engel eine bedauerliche Unpässlichkeit erleiden – und danach nehmen wir gemeinsam das Problem in Angriff, das uns dreien schon so lange Kopfzerbrechen bereitet. Einverstanden?«
    Er hielt ihm mit großer Geste die Hand entgegen. Doch er musste sich gedulden, bis der Domherr sich ihm wieder zuwandte.
    »Ich bin bereit, bei diesem Kampf harte Methoden in Kauf zu nehmen«, sagte Carsedoni. »Sehr harte sogar, wenn es sein muss. Aber es dürfen dabei keine Menschen zu Schaden kommen – vor allem keine Kinder! Vergiss das nicht, Savo! Sonst könnten wir beide in Zukunft sehr rasch geschiedene Leute sein.«
    »Wovon sprichst du eigentlich? D avon war niemals die Rede!«, sagte der Apotheker.
    »Dann ist es ja gut!« Erst jetzt schlug der Domherr ein.

    ❦

    Die Madonna saß auf einem kleinen roten Bodenkissen. Ihr Kopf neigte sich ein wenig zur Schulter, das rechte Bein war leicht höher gelagert als das linke. Das Jesuskind hielt sie nah am Körper. Es griff nach der Brust der Mutter, um zu trinken, während es gleichzeitig das Gesicht von ihr abwandte und den Betrachter anschaute.
    »Es sieht mich ja an!«, rief Nevio voller Begeisterung. »Das hat es gestern Abend noch nicht getan, als ich weggegangen bin! Wie ist dir das nur wieder gelungen, Meister? Du hast sicher die ganze Nacht durchgearbeitet.«
    Matteo musste trotz seiner Müdigkeit lächeln. »Malen ist immer noch besser, als sich schlaflos auf dem Stroh herumzuwälzen. Außerdem wird der Bischof langsam ungeduldig, wenn ich ihm nicht endlich brauchbare Ergebnisse präsentiere.«
    Der Junge runzelte die Stirn. »Dann musst du dir mit der Madonna aber noch viel Mühe geben«, sagte er. »Denn im Gegensatz zum Kind, das schon ganz echt und lebendig wirkt, ist ihr Gesicht noch nicht viel mehr als ein Umriss.«
    Nevio lief hinaus in die Küche, wo Matteo ihn eine Weile hantieren hörte. Als er wieder zurückkam, balancierte er zwei bis oben gefüllte Näpfe auf einem Brett.
    »Kutteln mit Tomaten und Sellerie«, sagte er. »Mit einem Extragruß von meiner Mutter. Wenn du die gegessen hast, geht das Malen wie von selber!«
    »Moment noch«, sagte Matteo. »Stell sie noch einmal kurz beiseite. Ich will dir etwas zeigen.«
    Der Junge kam näher.
    »Was sieht du?«, fragte der Maler. »Schau ganz genau hin!«
    »Zu ihren Füßen hast du eine zarte Mondsichel gemalt«, sagte Nevio. »Mit silbernen Strahlen, fein wie Spinnweben in der allerersten Morgensonne. Das war gestern auch noch nicht da.«
    »Gut. Und weshalb hab ich das wohl getan?«
    Der Junge zog die Nase kraus wie immer, wenn er scharf nachdachte.
    »Weil alle Frauen veränderlich wie der Mond sind und sie die Königin aller Frauen ist?«, sagte er dann.
    Matteo lachte. »Keine schlechte Antwort«, sagte er. »Obwohl der Bischof sie dir so sicherlich nicht durchgehen lassen würde. Die Muttergottes hat den launischen Mond durch ihre Reinheit und Heiligkeit besiegt, so lautet die offizielle theologische Auslegung. Deshalb liegt er jetzt zu ihren Füßen, manchmal steht sie sogar auf der Sichel. Aber wenn ich ehrlich sein soll, gefällt mir deine Version viel besser.«
    »Doch das ist noch nicht alles.« Nevio war noch näher an das Bild getreten. »Es sieht aus, als würde sich in den untersten Falten des Mantels etwas verstecken. Ein Tier vielleicht, das nur mit dem Kopf herausspitzt?« Er kniff die Augen zusammen. »Ein Salamander. Da ist ein kleiner Salamander in den Mantel der allerheiligsten Jungfrau gekrochen.«
    »Sehr gut«, sagte Matteo. »Gefällt mir, dass du so aufmerksam bist.«
    »Aber was tut er da? Ich meine, weshalb hast du ihn gerade an diese Stelle gemalt?«
    »Jedes Bild braucht ein Geheimnis«, sagte Matteo. »Sonst besitzt es keinen Duft, keine Atmosphäre. Bilder ohne Geheimnis sind leblos und vordergründig. Nur wenn der Betrachter nachzudenken beginnt, entfaltet sich die ganze Wirkung des Gemäldes – und jetzt lass uns gemeinsam Ornelas legendäre Kutteln genießen!«
    Sie hatten ihre Mahlzeit gerade beendet, als es an der Türe klopfte. Nevio ging aufmachen und kam mit so betroffener Miene zurück, dass Matteo gar nicht erst fragen musste, wer der Besuch war.
    »Lass uns allein, Junge!« Celestina begann herumzuwedeln, als sei Nevio ein lästiges Insekt, das es zu verscheuchen galt. »Ich hab mit deinem Meister zu reden.«
    »Tu, was sie sagt!«, befahl Matteo. »Du könntest die Unterbrechung nutzen, um unsere Wasservorräte am Brunnen aufzufüllen.

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