Die Sünderin von Siena
»Veilchenkraut in Alkohol destilliert, mit lauwarmer Hennenbrühe genossen oder in Weinessig aufgelöst – nichts hat mir bisher auch nur die geringste Erleichterung gebracht. Ich werde es mit Johanniskraut versuchen, sonst treiben mich diese Kopfschmerzen noch in den Wahnsinn.«
»Ich kann es noch immer kaum glauben.« Domenico Carsedoni rutschte unruhig auf seinem Schemel hin und her. »Das passt doch gar nicht zu dem Jungen!«
»Dieser Bernardo hat ihre Seelen verführt und sie ganz und gar in der Hand.« Die Stimme des Apothekers verriet seinen tief sitzenden Widerwillen. »Ich hab euch ja von Anfang an vor diesem Scharlatan gewarnt. Aber keiner wollte mir glauben, unser Freund Barna am allerwenigsten.«
Ächzend kam er hoch und machte ein paar Schritte zum Tisch, auf dem eine halb volle Glaskaraffe stand.
»Auch ein Schlückchen Birnenwein?«, fragte er. »Das ist das Einzige, was ich momentan mühelos bei mir behalten kann.«
Der Domherr schüttelte den Kopf.
»Hast du seine Eltern schon benachrichtigt?«, fragte er. »Meine Base und vor allem Enea, unseren Verbündeten – sie müssen doch zu allererst Bescheid wissen!«
»Wozu?«, fragte Marconi. »Damit ihre Sorgen noch größer werden? Dein junger Verwandter hat doch bereits die eigene Mutter attackiert, ohne auch nur ein Fünkchen Reue zu zeigen. Was sollte ihn da abhalten, mich zum Invaliden zu machen?« Er leerte das Glas in einem Zug. »Und das ist erst der Anfang, glaube mir!«, fuhr er fort. »Binnen Kurzem werden diese Engel unsere schöne Stadt stürmen wie ein Schwarm gefräßiger Heuschrecken die reifen Kornfelder – und wir werden uns später vorzuwerfen haben, auch noch diejenigen gewesen zu sein, die einen saftigen Köder ausgelegt haben.«
»Aber was sollen wir nur dagegen tun, Savo?« Auf den runden Wangen des Domherren hatten sich brandrote Flecken gebildet. »Wir müssen mit den Verbünde ten reden, versuchen, sie so schnell wie möglich umzustimmen …«
»Meinst du, das würde zu Erfolg führen?« Der Apotheker hatte damit begonnen, in seiner Offizin auf und ab zu gehen, wobei er aufpassen musste, nicht bei jedem Schritt an etwas zu stoßen, so überfüllt war es hier inzwischen. Auf den Truhen standen Mörser und bauchige Destillierkolben, selbst der kleinste Platz schien mit Schüsseln und Näpfen vollgestellt. »Ich jedenfalls glaube nicht daran.«
»Aber einfach abwarten und tatenlos zusehen? Das geht doch nicht!«
»Siehst du nicht die Zeichen meiner ruhelosen Tätigkeit?« Marconis Arm wies auf all die verschiedenartigen Gerätschaften. »Kaum eine Mütze Schlaf gönne ich mir noch jede Nacht – und komme doch nicht zum Allerwichtigsten.«
»Du willst sie mithilfe von Arzneien zur Umkehr zwingen?« Der Domherr schien langsam zu begreifen. »Aber wie willst du das anstellen?«
»Was, Domenico, wenn eine plötzliche Krankheit diese Engel schachmatt setzen würde? Dann stünde der Prediger auf einmal sehr viel schlechter da – und die Meute, die ihm jetzt die Worte wie süßen Honig von den Lippen saugt, wäre nur allzu rasch in alle Winde zerstreut. Glaubst du nicht auch?«
»Du willst sie also wissentlich krank machen? Aber das ist doch allein die Sache Gottes!«
»Manchmal kann es nicht schaden, wenn man Gottes Werken etwas nachhilft«, sagte der Apotheker. »Bei jener gewissen Person zum Beispiel …«
»Du redest von ihr? Ihr ?« Der Monsignore schien nach Luft zu ringen. »Sag lieber nichts mehr darüber! Denn trotz all unserer schönen Pläne sind wir doch noch keinen Fußbreit weitergekommen.«
»Das sehe ich ganz anders. Barna hat zwar vor Kurzem diese Gemma di Cecco unter Arrest gestellt, doch früher oder später könnte sich herausstellen, dass sie nichts mit dem Tod des Kleinen zu tun hat. Dann, mein Lieber, wird sein Verdacht erneut und stärker als je zuvor auf unsere Waisenmutter fallen.« Ein feines Lächeln spielte um Marconis Lippen. »Und ich werde mir erlauben, ihn in dieser Annahme nachhaltig zu bestätigen.«
»Bislang hat er sie nicht ein zweites Mal vorladen lassen, geschweige denn etwas gegen sie unternommen. Sie kann die Kinder behalten und weiterhin hoch erhobenen Hauptes in Siena herumstolzieren, als sei sie eine ehrbare Witwe, wo doch wir drei …« Der Domherr wandte sich rasch ab.
»Deine Leidenschaft für dieses Miststück wird dich eines Tages noch ins Grab bringen.« Savo Marconis beißender Spott war nicht zu überhören. »Lass uns die Dinge doch lieber weiterhin gelassen
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