Die Sünderin von Siena
so lange im Gebet, bis ich mich ganz befreit fühle.« Nicht ohne Mühe erhob sie sich und ließ sich auf den Schemel sinken. »Du hast mich sehr lange warten lassen«, sagte sie. »Weshalb?«
»Ich konnte nicht früher kommen«, sagte Gemma. »Man hat mich gegen meinen Willen festgehalten.«
Caterinas Blick wurde fragend, dann aber schien sie die andere Frau wahrzunehmen. Ihr ohnehin blasses Gesicht war wie weiß gekalkt; sie rang nach Luft.
»Wer ist sie?«, flüsterte sie. »Wen hast du da zu mir gebracht?«
»Bice di Nero. Eine …«
»… Verdammte!«, rief Caterina mit weit aufgerissenen Augen. »Weh mir, Satan, jetzt führst du deine verderbten Geschöpfe schon in meine Zelle!«
Die Frau des Richters brachte kein Wort heraus, sondern starrte ihrerseits auf die zerbrechliche Gestalt in der überweiten Kutte, aus deren viel zu weitem Halsausschnitt ein magerer Hals ragte, darüber ein frisch geschorener Kopf, der an eine Verbrecherin erinnerte.
Eine ganze Weile bewegten sich Caterinas Lippen in stummem Gebet, dann entspannten sich ihre Züge, und der Schatten eines Lächelns war zu entdecken.
»Vergib mir!« Sie streckte die Arme nach Bice aus, die sie mit ungläubiger Miene musterte. »Ich bin schwach geworden und habe gezweifelt. Doch jetzt sind Stärke und Zuversicht in mich zurückgekehrt. Nicht Satan hat dich mir geschickt, sondern mein himmlischer Geliebter, auf dass ich an seinen schwächsten Geschöpfen Demut und Liebe erlerne.«
Sie umschlang Bice, drückte sie innig an sich.
»Geliebte Schwester!«, flüsterte sie. »Du sollst ab jetzt immer ganz nah bei mir sein. Lass dich nicht länger niederdrücken von der hässlichen Sünde des Fleisches.«
Die Frau des Richters machte sich steif in Caterinas Armen. »Aber was sagt sie da?« Ihr verzweifelter Blick suchte Gemma, die die ganze Szene stumm verfolgt hatte. »Wovon redet sie denn?«
»Du weißt, was ich sagen will«, fuhr Caterina fort, ohne sie loszulassen. »Ich spüre die Sünde, die dich vergiftet hat, wie eine offene Wunde in meinem eigenen Körper, doch du selber bist ohne Schuld. Jemand anderer hat dir großes Unrecht angetan, dein Herz aber ist stark und rein geblieben. Es ist jemand aus deiner unmittelbaren Nähe, Bice, jemand, der sich mit seinem schändlichen Tun an dir zutiefst versündigt hat.«
Die Frau des Richters hatte hemmungslos zu weinen begonnen. »Aus Pisa hat er das Übel mitgebracht«, rief sie. »Von seinen schrecklichen Reisen, schon vor langer Zeit. Er hat mich damit krank und elend gemacht, mein eigener Mann! Ich wollte es lange Zeit nicht wahrhaben, immer wieder hab ich darauf gehofft, irgendein Mittel oder eine Medizin könnte mich eines Tages wieder ganz gesund machen. Doch ich werde niemals wieder genesen, das weiß ich jetzt. Es ist in mir – und frisst mich langsam von innen her auf.«
Caterinas magere Hand streichelte zärtlich Bices Rücken. »Weine!«, sagte sie. »Lass den Tränen freien Lauf! Doch die Zeit wird kommen, da du sie wieder trocknen kannst. Dann wirst du siegen – und er muss sühnen! Denn der Geist ist soviel stärker als das Fleisch. Wenn du im Geist lebst, kann dir die Vergänglichkeit des Fleisches nicht länger etwas anhaben. Wenn du willst, meine Bice, dann gehörst du ab jetzt zu mir. Der schwarze Umhang dort auf dem Boden ist deiner! Ich schenk ihn dir zur Erinnerung an diesen ganz besonderen Tag.«
Innig umschlungen, wiegten die beiden Frauen sich eine ganze Weile hin und her, bis Bice sich schließlich aus Caterinas Armen löste.
»Ich danke dir!«, sagte sie unter Tränen. »Am liebsten würde ich mich noch heute in die Gemeinschaft deiner frommen Schwestern einreihen und für immer den keuschen Umhang der Mantellatinnen tragen. Doch das kann ich noch nicht, nicht, bevor ich für meinen kranken Jungen gesorgt habe.«
»Dann nimm du den Umhang an ihrer Stelle!«, sagte Caterina zu Gemma. »Bewahre ihn für meine Schwester auf, bis sie sich reif genug fühlt, ihn für immer anzulegen.« Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen. Wahrscheinlich hatte sie sich den ganzen Morgen über nicht einmal Flüssigkeit gegönnt, doch ihr eiserner Wille schien ungebrochen. »Was ist geschehen, Bice?«, erkundigte sie sich voller Anteilnahme. »Wieso ist dein Junge so krank?«
»Mein Sohn Giovanni war ein Gefangener dieses Mannes, der sich padre Bernardo nennt und in meinen Augen kein Prediger ist, sondern ein Teufel. Wenn man ihn nicht zu Fall bringt, wird er die ganze Stadt zu einem Pfuhl
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