Die Sünderin von Siena
nachlässig mit seinen Sachen umgehen, auch du nicht!«
»Wie bist du überhaupt so nass geworden?« Lucia gelang es nicht, ihr Kichern zu unterdrücken. »Hast du den Brunnen etwa mit der Gasse verwechselt?«
»Oder hat dich jemand reingeworfen? Weil du vielleicht zu aufdringlich geworden bist?«, fragte Teresa, die den kleinen Fremden noch immer insgeheim anschmachtete.
Mario starrte auf seine Schuhe.
»Da sind ja noch mehr verdorbene Kleidungsstücke!« Lavinia bückte sich und kam mit verdrückten Beinlingen in der Hand wieder hoch, die sie eingehend inspizierte. »Blutbeschmiert – und das nicht zu knapp!« Ihre Stimme vibrierte vor Genugtuung, weil sie Bartolos Liebling endlich bei etwas Verbotenem ertappt hatte. »Prügelst du dich etwa heimlich mit anderen Raufbolden herum?«
Mario wollte ihr die Beinlinge entreißen, sie aber hielt sie fest umklammert und schwang sie wie eine Trophäe über dem Kopf.
»Da wirst du dir für deinen zio aber eine ausführliche Erklärung zurechtlegen müssen!«, rief Lavinia. »Und ich kann dir nur raten, lass sie auch überzeugend genug ausfallen!« Die beiden Mädchen begannen zu kichern. Sofort traf sie der eisige Blick der Mutter, und sie verstummten. »Du bringst das alles sofort hinunter in die Küche!«, erging der Befehl an Teresa. »Die neue Magd soll Wasser aufsetzen und sich auf der Stelle darum kümmern, sonst verkommt hier ja noch alles!«
»Immer ich«, maulte Teresa, wagte aber nicht, sich der Anordnung zu widersetzen. Die beiden Mädchen folgten Lavinia, die beim Hinuntergehen weiter empört vor sich hin murmelte.
Gemma musterte den Jungen, der ganz verstört schien. »Willst du nicht wenigstens mir erzählen, was geschehen ist?«, sagte sie leise. »Manchmal ist es hilfreich, wenn man sein Herz erleichtert.«
Mario zuckte die Schultern. Deutlich zu sehen, dass er am liebsten im Erdboden versunken wäre.
»Ich hab mich ja gewehrt, das musst du mir glauben!«, stieß er hervor. »Aber es waren einfach zu viele. Was sollte ich da schon tun, gegen solch eine Übermacht? ›Dir fehlt noch die Taufe‹, haben sie gegrölt. ›Eine schöne, nasse Taufe!‹ Dann haben sie mich in den großen Brunnen geworfen und solange untergetaucht, bis ich dachte, ich müsste sterben.«
»Die jungen contradaioli ?«
Ein Nicken.
»Ausziehen wollten sie mich noch, diese Teufel, nackt bis auf die Haut, um noch üblere Spiele mit mir zu treiben. Aber das hab ich zum Glück verhindern können, hab um mich geschlagen und gebissen, bis sie die Lust daran verloren haben. Und auch ihr widerliches Wettpinkeln hab ich nicht …« Die Stimme schien ihm zu versagen.
»Ich hab schon von solchen Scherzen und Mutproben gehört«, sagte Gemma. »Scheint irgendwie zu den Vorbereitungen für den Palio zu gehören.«
»Ich hasse euren Palio!«, spie er ihr entgegen. »Von mir aus müsste er nie mehr abgehalten werden. Zio Bartolo hat darauf bestanden, dass ich zu den Proben gehe. Dabei hab ich ihm doch gleich gesagt, dass ich nichts vom Trommeln verstehe und dass die anderen mich nicht leiden können. ›Ein Fremder wie du hat bei uns nichts verloren‹ – er müsste sie nur mal prahlen hören, diese Feiglinge! Die werden nie meine Freunde, niemals!«
»Und weil du das, was dir zugestoßen ist, vor uns nicht zugeben wolltest, hast du die klitschnassen Sachen einfach unter der trockenen Wäsche versteckt?« Gemma lächelte. »Was für ein Kindskopf du doch noch bist, kleiner tedesco !«
»Ich mag es nicht, wenn ihr mich so nennt.« Das schmale Gesicht war sehr ernst geworden. »Besonders von dir nicht. Ich fühl mich ohnehin schon fremd genug hier, in eurem Siena. Ihr müsst mich nicht noch ständig daran erinnern!«
»Aber ich dachte, du hättest dich inzwischen gut bei uns eingelebt.« Sein offensichtlicher Kummer rührte Gemma. »Und nach der Reise mit meinem Vater …«
»Du hast ja keine Ahnung!« Jetzt überschlug Marios
Stimme sich beinahe. »Die Reise hat alles nur noch schwieriger für mich gemacht. Das lange Reiten, die vielen Mücken, die kümmerlichen Herbergen, wo man nie richtig für sich sein konnte. Und seit wir zurück sind, nimmt zio Bartolo mich gar nicht mehr zur Kenntnis. Stundenlang sagt er kein einziges Wort, sondern brütet nur noch verbissen über seinen Büchern. Gäbe es nicht den alten, treuen Luca, der mir wenigstens ab und zu noch etwas erklärt, ich könnte ebenso gut tot und begraben sein!«
Der Junge hatte recht. Ihr selber erging es ja kaum
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