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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schlummernd.
    Ich muss aufpassen.
    Der Befehl wirkte weiterhin in ihm. Barfüßig verließ er das Zimmer, öffnete die Türe zum nächsten Raum, der den Mädchen gehörte. Angelina lag zusammengekringelt am Kopfende ihres Bettes und schnarchte. Catas zerwühltes Bettchen aber war leer.
    Der Schreck, der ihn durchfuhr, war so schneidend, dass sein ganzer Körper sich plötzlich wie taub anfühlte. Da war ein merkwürdiges Geräusch gewesen, mitten in der Nacht, daran erinnerte er sich nun dunkel, doch er war viel zu müde gewesen, um es richtig wahrzunehmen. Am liebsten hätte er jetzt den Daumen in den Mund gesteckt, um an ihm zu lutschen, wie Mauro es manchmal noch heimlich getan hatte, aber er war doch der Große, der, der sich um die Kleinen kümmern sollte!
    Dabei hatte er sich noch selten zuvor im Leben so hilflos, so verlassen gefühlt. Lelio zwang sich zum Nachdenken, und auf einmal war da ein Gedanke, der ihn wieder beruhigte.
    Natürlich – warum hatte er nicht gleich daran gedacht? Cata hatte vielleicht auch schlecht geträumt und war wieder einmal zu Mia gelaufen, um sich neben ihr einzukuscheln. Neben der großen Schwester, deren Nähe sie liebte, würde die Kleine schon bald gut gelaunt aufwachen. Er brauchte sich also keine Sorgen zu machen.
    Lelio wollte schon umkehren, um sich wieder aufs Ohr zu legen, als ihn etwas stutzig machte. Irgendwie roch es anders als gewöhnlich. Da war ein neuer Geruch auf der Treppe, nach etwas Herbem, Bitterem und leicht Seifigem, ein fremder Geruch, der seine Angst augenblicklich aufs Neue entfachte.
    Dennoch zwang er sich, halbwegs ruhig weiterzugehen und öffnete die Tür, hinter der Mia schlief, stets in ihren Kleidern, wie er wusste, als sei ihr der Anblick ihres nackten Körpers unerträglich. Er musste nicht einmal eintreten, um ihren gleichmäßigen Atem zu hören. Mia schlief, aber sie war allein, nur das zählte.
    Die Angst in Lelio wurde größer, war plötzlich wieder überall.
    Nun kam nur noch ein einziges Zimmer infrage, das größte im ganzen Haus, in dem Mamma Lina sich einge richtet hatte. Ohne sich jemals untereinander abgesprochen zu haben, wussten alle Kinder, dass man es nicht betreten durfte. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als dieses ungesagte Gebot zu brechen.
    Seine Hand lag eine ganze Weile auf der Klinke, bis er sie schließlich herunterdrückte. Lina musste ihn gehört haben, noch bevor er im Raum stand.
    »Wer ist da?«, fragte sie scharf.
    »Ich. Lelio.« Seine Zunge schien am Gaumen zu kleben. »Ich suche Cata. Ist sie bei dir?«
    »Cata? Nein. Weshalb? Ist sie denn nicht in ihrem …«
    Sie war bei ihm, bevor er noch antworten konnte, gehüllt in ein weites weißes Gewand, das bis zu den Knöcheln reichte, und schüttelte ihn unsanft.
    »Wo ist sie, Lelio? Du solltest doch aufpassen!« Jetzt klang die Stimme schrill.
    »Hab ich ja! Aber doch nicht die ganze Nacht. Da muss ich auch schlafen«, versuchte er sich zu verteidigen und fühlte sich doch bei jedem Wort nur noch elender.
    »Wir müssen sie suchen!«, rief Mamma Lina. »Warst du schon oben, bei Gemma? Vielleicht steckt sie ja dort.«
    »Nein«, sagte der Junge. »Aber ich kann sofort nachsehen.«
    Und obwohl ihm eine hässliche innere Stimme zuraunte, dass es ebenfalls vergeblich sei, rannte er doch die schmale Treppe nach oben.
    Das Bett war leer; von Cata weit und breit nichts zu sehen.
    »Da ist sie auch nicht!«, schrie er und eilte wieder hinunter.
    Mamma Lina hatte sich inzwischen ein Kleid übergeworfen und trug Schuhe an den Füßen.
    »Weck die anderen!«, befahl sie. »Wir werden sie gemeinsam suchen.«
    Keines der Kinder beschwerte sich, als er sie alle aus dem Bett zerrte; jedem standen Angst und Erschrecken ins Gesicht geschrieben, nachdem sie gehört hatten, dass Cata verschwunden war.
    »Mia und Angelina, ihr lauft die Gasse hinauf und sucht die nächsten Straßen ab. Vielleicht ist sie ja zum Dom gegangen, um die Madonna zu besuchen!«, befahl Mamma Lina.
    »Und wir?«, fragte Raffi mit blauen Lippen. »Was sollen wir tun?«
    »Zum großen Brunnen«, sagte Lina zu ihm und Lelio, der die Antwort bereits kannte, obwohl er sich aus ganzem Herzen eine andere ersehnt hätte. »Dorthin, wo der Maler unseren Mauro gefunden hat.«
    Es war wie in jenen schrecklichen Träumen, wo man auf einmal glaubt, keinen Arm mehr bewegen, kein Bein mehr rühren zu können. Man weiß, was geschehen wird, obwohl man es eigentlich noch nicht wissen kann. Sie entdeckten die kleine,

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