Die Sünderin von Siena
der Sünde machen. Er hat ihn berührt, meinen Kleinen, auf die allerschändlichste Weise, sein Herz und wohl auch seinen Körper. Zumindest scheint er das vorgehabt zu haben.«
Bice zögerte, warf einen kurzen Blick zu Gemma, als bereue sie plötzlich, nicht mit Caterina allein zu sein, dann erst sprach sie stockend weiter.
»Ich hab meinen Mann zu Bernardo geschickt, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, doch Enea ist unverrichteter Dinge nach Hause zurückgekehrt. Man habe ihn gar nicht zu Bernardo vorgelassen, hat er behauptet, doch ich glaube ihm kein einziges Wort. Nichts als Lügen – nur noch mehr Lügen!«
»Der Brief!«, sagte Caterina, als sei ihr gerade etwas sehr Wichtiges eingefallen, und Gemma nahm das gerollte Pergament, das auf dem Tisch gelegen hatte. »Die letzte Nachricht von meinen Brüdern – lies!«
Gemma überflog die Zeilen, dann ließ sie den Brief sinken. »Du kennst den Inhalt bereits?«, fragte sie.
»Ich hab meinen Beichtvater um Hilfe gebeten. Ich wusste doch nicht, wann und ob ich dich wiedersehen würde.« Leiser Vorwurf klang aus dieser Antwort.
»Sie schreiben von einem Umsturz, der uns allen droht, eine gemeine Revolte, die den Rat stürzen soll«, rief Gemma. »Sie flehen dich an, das Haus nicht zu verlassen, um jegliche Gefahr auszuschließen. Sie sorgen sich um dich.«
»Als ob ich in meinem Zustand das Haus verlassen könnte!« Caterinas Lächeln war schwach. »Doch das werde ich bald ändern. Ich will mich einmischen in diese Welt, anstatt mich weiterhin in dieser Zelle einzuschließen. Ich werde sogar essen, ausnahmsweise, damit ich neue Kraft gewinne. Hast du auch gelesen, was sie über den Prediger schreiben?«
» Trau jenem Mann nicht, geliebte Schwester!«, las Gemma vor. »Es scheint, als würden deine Befürchtungen wahr werden. Niemand darf ihm trauen! Er ist wie eine Schlange, die sich stets dreht und windet. Wir dachten, er sei auf unserer Seite, doch er hat uns lediglich benutzt und verraten und sorgt offenbar nur für sich selber und jene jungen Männer …« Gemma sah ihr Gegenüber fragend an. »Keinerlei Entschuldigung«, sagte sie. »Nirgendwo. Nicht einmal ganz am Ende. Ich finde, das zumindest wäre durchaus angebracht gewesen!«
»So sind sie, seit ich denken kann.« Jetzt klang Caterinas Lachen offen und fröhlich. »Schon als wir noch Kinder waren. ›Du magst deinen Mandelkuchen nicht, kleine Schwester? Das macht nichts! Wir werden dir helfen und ihn an deiner Stelle aufessen.‹ Auch damals haben sie sich nur allzu bereitwillig geopfert, wenn es zu ihrem Vorteil war.«
»Immerhin haben sie den padre endlich durchschaut!«, rief Bice aufgeregt. »Während andere in der Stadt diesem Menschen noch immer blindlings nacheifern. Was für kluge Brüder Ihr doch haben müsst, edle Caterina!«
Die Heilige von Fontebranda furchte die Stirn. »So allerdings würde ich es nicht nennen«, sagte sie. »Aber immerhin scheinen Stefano und Puccio Benincasa allmählich wieder halbwegs zur Vernunft zu gelangen.«
»Aber was können wir tun?«, fragte Bice. »Womit fangen wir an, um diesen Wüstling so schnell wie möglich zu Fall zu bringen?«
»Genau das werde ich euch jetzt sagen.« Caterina klang auf einmal erfrischend kämpferisch. »Doch unser Plan muss vorerst geheim bleiben, versprecht mir das!«
»Ich schwöre!«, sagte die Frau des Richters mit feierlicher Miene.
»Ich schwöre!«, wiederholte nun auch Gemma.
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Da waren zwei schwere Hände, die sich immer enger um seinen Hals schlossen, bis er zu keuchen begann und kaum noch Luft bekam. Ein widerwärtiger Druck auf seiner Kehle, als wolle ihm jemand die Zunge tief in den Rachen drücken. Schließlich auch noch ein mächtiges Knie, das sich so schwer in seinen Brustkorb bohrte, dass er glaubte, die Rippen würden gleich brechen wie ein Bündel dürrer Zweige …
Schweißnass fuhr Lelio in die Höhe. Durch die Fensteröffnung sah er im Osten das erste Rot des Morgens, und er hörte, wie die Vögel zu singen begannen. Nicht zum ersten Mal, dass er schlecht geträumt hatte, doch so schlimm und beängstigend wie heute war es niemals zuvor gewesen.
Ich muss aufpassen .
Dieser Satz erfüllte Lelio auf einmal ganz. Er trieb ihn aus dem Bett, ließ ihn auf der Stelle Müdigkeit und Albtraum vergessen. Was er neben sich sah und hörte, ließ ihn ein Stück ruhiger werden. Raffi hatte wie schon so oft die Bettdecke einer zweiten Haut gleich um sich gewickelt. Wie eine kleine Raupe lag er da, selig
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